El Violín

Von Macht und Ohnmacht der Musik

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Kann Musik die Welt retten? Manchmal wenigstens, und zumindest einen kleinen Teil davon? Eine mögliche Antwort auf diese augenscheinlich größenwahnsinnige Frage deutet der mexikanische Regisseur Francisco Vargas mit diesem schlichten Film an. Erst kürzlich verstarb der Hauptdarsteller, der Komponist und Musiker Don Ángel Tavira im Alter von 83 Jahren, der in El Violín sein famoses Schauspieldebüt gab und prompt bei den Filmfestspielen in Cannes 2006 in der Sektion Un Certain Regard als Bester Darsteller ausgezeichnet wurde.
Der alte Bauer Don Plutarco (Don Ángel Tavira) zieht gelegentlich mit seinem Sohn Genaro (Gerado Taracena) und seinem Enkel Lucio (Mario Garibaldi) durch die umliegenden Dörfer im südlichen Mexiko, um das erbärmliche Einkommen der von den Gutsherren gebeutelten Landarbeiter durch kleine musikalische Einlagen in Cafés, Bars oder auf der Straße aufzubessern. Plutarco auf der Violine, Genaro an der Gitarre und der kleine Lucio sammelt die spärlichen Geldstücke ein – eine Drei-Generationen-Combo, die keinem weiter auffällt. Doch insgeheim engagieren sich Plutarco und Genaro für die Guerilla, die gerade Waffen für einen geplanten Überfall auf eine Militär-Einheit organisiert.

Als die Musiker eines Tages in ihr Dorf zurückkehren wollen, begegnen sie auf dem Weg bereits der flüchtenden Bevölkerung, denn Soldaten haben sich dort eingenistet, da sie versteckte Aufständische vermuteten. Einige Gefangene, darunter Lucios Mutter, werden brutal gefoltert, um Angehörige der Guerilla und den Aufenthaltsort der Waffen zu verraten. Für die Guerilleros ist das eine doppelte Katastrophe, denn ausgerechnet in diesem Dorf befand sich ihr geheimes Munitionsdepot, zu dem sie nun keinen Zugang mehr haben, und der geplante Überfall droht zu scheitern. Während versteckt in den Wäldern und Bergen noch beratschlagt wird und Genaro erwägt, unter Lebensgefahr die Munition irgendwie doch noch zu holen, ist es der alte Plutarco, der sich mit seiner Geige im Stillen ins Dorf aufmacht, um zu retten, was zu retten ist.

Wird er zunächst brüsk von den Soldaten abgewiesen, erregt der harmlos erscheinende Alte die Aufmerksamkeit des Capitáns (Dagoberto Gama), der ihn auffordert, sein Instrument zu spielen. Und was er da hört, berührt und bezaubert ihn derart, dass er Plutarco bittet, ihn zu unterrichten, und es entspinnt sich eine scheinbar hoffnungsvolle Beziehung zwischen den beiden Männern. Bei seinen Besuchen gelingt es dem alten Geiger, immer wieder ein wenig Munition für die Guerilla aus dem Versteck zu schmuggeln, doch als er eines Tages alles wagt, gerät er in eine aussichtslose Situation ...

El Violín, der auf zahlreichen internationalen Festivals mit Preisen ausgezeichnet wurde, entstand aus einer Dokumentation über Ángel Tavira, die der Filmemacher Francisco Vargas, der damit sein Spielfilmdebüt vorlegte, über den Künstler drehte und mit einer Idee für die klug inszenierte Geschichte um die Zustände im Süden Mexikos verknüpfte. Die schwarzweißen, oftmals sehr ruhigen Bilder und die Gemächlichkeit der Handlung, die vor allem vom unspektakulär unerschütterlichen Don Plutarco ausgeht, bauen eine zunehmend bedrohlicher werdende Spannung auf, die den Zuschauer um das Schicksal des Alten und damit des ganzen Dorfes bangen lassen. Wenn der Don, der diese Anrede bescheiden ablehnt, bedächtig seine Violine auspackt, sich den Bogen sorgfältig an die rechte, verkrüppelte Hand bindet und zu spielen beginnt, wenn er sich Zeit nimmt, auf prekäre Fragen zu antworten, wenn er ruhig und hartnäckig seine Pläne durchsetzt oder wenn er seinen Enkel tröstet und ihn die traditionellen Lieder lehrt – das ist schlichte, ganz große Schauspielkunst, die diesem ernsthaften, engagierten und doch niemals blumig harmonisierenden Film seinen ganz besonderen Rhythmus verleiht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/el-violin