Messer im Kopf

Der Kopf und seine Messer

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Allein schon der Titel dieses durchaus als legendär zu bezeichnenden Films von Reinhard Hauff aus dem Jahre 1978 zeichnet sich durch eine Vielschichtigkeit aus, die für die ganze Geschichte charakteristisch ist. Da ist die persönliche Identität mit der politischen verwoben, unterschiedlich eng, kann Krankheit wie Gesundung Freiheitsentzug bedeuten und das menschliche Hirn derart verletzt und auch manipuliert werden, dass sich der Wahrheitsbegriff relativiert und die drängenden Fragen, die mit dem so genannten Deutschen Herbst unabweisbar Gesellschaft und Politik befielen, eine zusätzliche, zutiefst menschliche Dimension erfahren.
Hoffmann (Bruno Ganz in Bestleistung) wird durch ein unerwartetes, tragisches Ereignis von seinem ein wenig weltfremden Leben als engagierter, philosophierender Biogenetiker und passionierter Geiger in eine lebensbedrohliche Katastrophe katapultiert: Bei einer Polizeirazzia im Jugendzentrum, in dem seine stark politisch orientierte Frau Ann (Angelika Winkler) arbeitet, wird er als eher zufälliger Besucher von einem Polizisten in den Kopf geschossen und findet sich nach dem Koma als komplett desolate Kreatur wieder, die hilflos jede kleinste Verrichtung körperlicher wie mentaler Art mühsam erneut erlernen muss.

Der Patient, der zunächst keine Erinnerung an die dramatischen Vorgänge hat, wird im Krankenhaus von der Polizei überwacht, denn ihm wird vorgeworfen, aus politischer Motivation heraus gehandelt und den staatlichen Schützen zuerst mit einem Messer angegriffen und verwundet zu haben. Förderung und Fürsorge erhält Hoffmann neben dem medizinischen Personal mehr oder weniger umsichtig von seiner Frau Ann, mit der er keine gute Beziehung führt, deren Freund Volker (Heinz Hoenig), der sich zunehmend illegal gegen die Staatsmacht engagiert und mit Ann ein Verhältnis unterhält, und vor allem von seinem Freund und Anwalt Anleitner (Hans Christian Blech).

Langsam macht Hoffmann Fortschritte, was allerdings auch das Ende seiner Haftverschonung in Reichweite rückt, doch so tapfer sich der Mann, der zwischen Sichtweisen als Opfer und Täter oszilliert, auch den Begrifflichkeiten und Beschaffenheiten der Welt um ihn herum auseinander setzt, gelingt es ihm dennoch nicht, eher für sich selbst als für die Staatsgewalt herauszufinden, was sich tatsächlich ereignet hat. Sobald es seine Kräfte erlauben, begibt sich Hoffmann im wackeligen Alleingang auf die Suche nach seiner Wahrheit, die ihn letztlich unausweichlich zu dem Polizisten führt, mit dem er auf fatale Weise verbunden ist ...

So umstritten wie hoch gelobt und mit Preisen ausgezeichnet ist Messer im Kopf immer noch ein packender, ernsthafter Film, bei dem bei Zeiten ein ebenso schlichter wie beinahe explosiver Humor durchbricht, der die enorme Spannung wirkungsvoll flankiert. Die Schauspieler sind überzeugend, die Thematik auch heute noch nicht ohne Brisanz und die Inszenierung so überzeugend und gekonnt, dass die Atmosphäre der Kälte, die trotz aller Emotionen vorherrscht, den Zuschauer erschauern lässt und angesichts des verlorenen Hoffmanns, den selbst seine Frau beim Nachnamen nennt, an den großen Gedanken der Humanität gemahnt.

Als Exras auf der DVD lassen sich ein ausführliches Interview mit dem Regisseur Reinhard Hauff und eines mit dem Produzenten Eberhard Junkersdorf finden, die zusätzliche und hintergründige Betrachtungen zur Entstehung und Thematik des Films liefern, der gleichzeitig sehr persönlich und dabei doch ausgesprochen konkret politisch geraten ist. Und auch die Philosophie kommt nicht zu kurz – Hoffmanns Freund Anleitner, der ihn offensichtlich sehr gern hat und sich umfassend für ihn einsetzt, erklärt ihm zu Anfang ganz unumwunden: „Die Kugel im Kopf ist nicht so schlimm. Andere Leute haben Scheiße im Kopf, das ist schlimm.“

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/messer-im-kopf