Poison

Hero, Horror und Homo

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Der US-amerikanische Filmemacher Todd Haynes gehört zu jenen wenigen unabhängigen Geistern innerhalb der Branche, die sich deren traditionellen Gepflogenheiten widersetzen und dennoch erfolgreich ihre Zuschauer erreichen. Wird der Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur und Produzent – keineswegs zu Unrecht – auch sofort mit der Bewegung assoziiert, die seit Anfang der 1990er Jahre als "New Queer Cinema" bezeichnet wird, haben sich seine Filme mittlerweile aus diesem Nischendasein hinauskatapultiert. Obwohl seine Figuren nach wie vor krasse Ausnahmepersönlichkeiten repräsentieren und Homosexualität häufig ein zentraler Aspekt innerhalb seiner abgefahrenen Geschichten mit einer ungezähmten Dramaturgie bleibt, ist Todd Haynes längst zu einem Regisseur avanciert, der im Arthouse-Bereich international ein bunt zusammengesetztes, fasziniertes Publikum findet; eine Entwicklung, die sein neuster Film I'm Not There über den unauslotbaren Poeten und Musiker Bob Dylan, der in diesen Tagen mit einer bemerkenswerten Starbesetzung in die Kinos kommt, sicherlich noch einmal kräftig vorantreiben wird.
Poison stellt das Langfilmdebüt des Regisseurs aus dem Jahre 1990 dar und wurde unter anderem beim Sundance Film Festival in Utah mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Unter dem giftigen Titel sind drei in Form und Inhalt völlig unterschiedliche Geschichten vereint – Hero, Horror und Homo –, die alle auf den wachen und präzisen Betrachtungen des Filmemachers zur so genannten Realität, dem ihr anhaftenden unvermeidlichen Schein und einer vermeintlichen Normalität beruhen, die im Fokus seines Schaffens stehen. Hero berichtet im Stile einer Dokumentation über einen Jungen, der seinen Vater erschossen haben und anschließend davongeflogen sein soll, während Horror mit der Geschichte über einen Wissenschaftler, der versehentlich ein Elixier mit der Essenz der menschlichen Sexualität einnimmt und zu einem höchst ansteckenden Monster mutiert, auf die Science-Fiction-Filme der 1950er Jahre referiert. Homo letztlich erzählt von geradezu traumwandlerischen Sequenzen durchzogen von den Liebesbanden zweier Häftlinge in einem Gefängnis und basiert auf dem Roman Tagebuch eines Diebes des französischen Autors Jean Genet, dessen Werke auch die beiden ersten Episoden inspiriert haben.

So bewegt sich Poison in seiner künstlerisch komponierten Machart in seinen einzelnen Episoden dynamisch mal hierhin, mal dorthin, was dem Zuschauer anfangs ein hohes Maß an Konzentration abverlangt, doch lässt ihn der Sog der Intensität bald heimisch in den Geschichten werden, deren nur augenscheinlich absurde Topoi ganz wesentliche Aspekte der menschlichen Identität wie Liebe, Sexualität, (fehlendes) Verständnis und Gewalt berühren. Gleichzeitig spürt der Film mit seiner impliziten Gesellschaftskritik eben jenen Giften nach, die häufig unauffällig unter dem dubiosen Schutzschild einer gemeinhin akzeptierten Normalität und ihren Institutionen – sei es die Familie, der wissenschaftliche Bereich oder der Strafvollzug – heranreifen, um dann als absonderliche Phänomene die Öffentlichkeit zu schockieren.

Dass es Todd Haynes als graduierter Semiotiker meisterhaft versteht, verschiedene Dimensionen von Zeichen und ihre Bedeutungen in seinen Geschichten filmisch umzusetzen, stellt seine Zuschauer immer wieder vor die konstruktivistische Frage, wie wirklich denn eigentlich diese Wirklichkeit ist, die von jedem Einzelnen meist als die scheinbar einzig gültige wahrgenommen wird; die Antworten überlässt der Filmemacher wohlweislich seinen Zuschauern.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/poison