Wie ich zum ersten Mal Selbstmord beging

Aus dem wilden Leben einer Muse

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Es ist ein Brief, der diesen Film inspiriert hat und ihm seinen Rahmen verleiht, ein Brief von Neal Cassady an seinen Freund Jack Kerouac. Diese beiden Protagonisten aus dem Kreis der Beat Generation, dem auch Allen Ginsberg und William S. Burroughs angehörten, waren nicht nur freundschaftlich verbunden, bereisten gemeinsam die USA und philosophierten über Liebe, Literatur und Leben, sondern bildeten auch schöpferisch ein innovatives, avantgardistisches Team. Während Cassady im Wesentlichen an der Performanz und dem unmittelbaren Prozess des Fabulierens interessiert war, das er hingebungsvoll und dynamisch unter den Beatniks inszenierte, veröffentlichte Kerouac zahlreiche Romane, deren Stil von der fließenden Prosa seines Freundes nachhaltig inspiriert wurde, der zugleich seine Muse war und damit entscheidend an der Entstehung der so genannten Popliteratur beteiligt.
Neal Cassady (Thomas Jane) wärmt sich mit rasantem Jazz, akrobatischem Freestyle und Wortspielereien in seiner kleinen Wohnung auf, um seinem Freund Jack Kerouac einen ausführlichen Brief zu tippen, der jene Ereignisse schildert, die sich um den Suizid-Versuch seiner Freundin Joan Anderson (Claire Forlani) ranken. In einer Regennacht erwacht das Paar unvermittelt, und auf Neals Frage, ob alles in Ordnung sei, antwortet Joan mit den Worten: "I´m fine, just go back to sleep." Kurz darauf findet Neal seine Freundin, die schwanger ist, äußerst blutig mit aufgeschnittenen Pulsadern im Bad auf. Joan verliert das Baby und ihr Leben steht auf Messersschneide, doch Neal ist so verstört, dass er ihr nicht gegenübertreten kann. Er verlässt die schlafende Freundin im Krankenhaus und besucht sie nie wieder, auch wenn er ständig an sie denkt und ihr in seiner Phantasie fürsorglich und liebevoll begegnet.

Fortan verbringt Neal, der nachts in einer Fabrik für Autoreifen arbeitet, seine Zeit mit seinem Kumpel Harry (Keanu Reeves) im Billardsalon und findet sich nicht selten in der Gesellschaft hübscher Mädchen wieder, auf die der junge Beatnik offensichtlich eine starke Faszination ausübt. Trotz seines unsteten Lebens, gelegentlichen Autodiebstählen für eine Vergnügungstour und der gewaltigen Wunde in seinem Herzen träumt er immer wieder von einem bürgerlichen Dasein mit Familie, einem Häuschen und einem weißen Gartenzaun. Eines Abends spricht ihn im Billardsalon eine attraktive Frau an, und Neal folgt ihr nach Hause, wo er völlig überraschend auf Joan trifft, die wieder genesen ist und dort auf ihn gewartet hat. Die tiefe Zuneigung von einst entflammt bei beiden erneut, und sie schmieden Pläne für eine gemeinsame, glückliche Zukunft. Doch noch ein Mal zieht es Neal kurz fort, um seinen guten Anzug zu holen, und nun zeigt es sich, dass es manchmal das ganze Schicksal verändern kann, wenn man sich in die Banalitäten und Zufälligkeiten des Lebens verstricken lässt ...

Es ist die Stimmung, die Haltung, das Lebensgefühl Neal Cassadys, sein Beat, dem sich der Film Wie ich zum ersten Mal Selbstmord beging / The Last Time I Committed Suicide widmet. Auch wenn er sich durchaus als eine Art künstlerisches Bio-Pic bezeichnen lässt, wird nur jener kleine Abschnitt im Leben Cassadys erzählt, den der mittlerweile als literarisches Kleinod angesehene Joan-Anderson-Brief thematisiert. Davon abgesehen gibt es nur ein einziges Buch von Neal Cassady, das allerdings erst posthum veröffentlicht wurde, nachdem der lebensfrohe live-Literat im Alter von nur 42 Jahren in einer kalten Regennacht in Mexiko nach einem Fest halb tot aufgefunden wurde und bald darauf verstarb. So dynamisch und mit schnellen Schnitten der Film auch startet, wird er doch im Verlauf der Geschichte, gerade auf den späten, spannenden Höhepunkt zu, bei Zeiten allzu geschwätzig, dass er sich auch für ein Mood-Movie zu zäh und zu wenig pointiert gestaltet. Dennoch ist es einerseits die Erzählung, die berührt, und andererseits die unkonventionelle Inszenierung, die überwiegend gelungen den Spirit of Beat transportiert, der einen neuen Schreibstil inspiriert und etabliert hat, ohne den die moderne Literatur nicht zu denken wäre.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/wie-ich-zum-ersten-mal-selbstmord-beging