The Florida Project (2017)

Die Kinder am Rande der US-amerikanischen Gesellschaft

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Sommer in Florida. Eine bleierne Sonne hängt über den Suburbs von Orlando. Hier, unweit des Disneylands, wohnt die sechs Jahre alte Moonee (Brooklynn Prince) in einem billigen Motel-Komplex. Gemeinsam mit ihren Freunden Scooty (Christopher Rivera) und Jancey (Valeria Cotto) streift sie durch die Gegend und heckt allerhand Streiche aus. Sie betteln sich Geld für ein Eis zusammen, legen "im verbotenen Raum" den Hebel für die Stromversorgung des gesamten Blocks lahm und klettern durch leerstehende Häuser. Moonee mit respektloser guter Laune immer allen voran.

Das Ganze findet vor der Kulisse buntester Südstaatenfarben statt. Die Häuser sind hier türkis oder pink und stehen im krassen Gegensatz zur trostlosen Alltagsrealität ihrer Bewohner. Wer in diesen billigen Unterkünften wohnt, lebt am Rande der amerikanischen Gesellschaft. Die Mütter sind Kellnerinnen, Verkäuferinnen oder arbeitslos. Die Väter meist ganz verschwunden. Auch Moonees Mutter hält sich immer nur knapp über Wasser. Die Kleine hilft ihr beim Verkauf von billigen Parfüm-Kopien vor den Luxushotels der Disneybesucher. Als sie auch dort vertrieben werden und die nächste Wochenrate für die Miete ansteht, entscheidet sich die Mutter zu dem letzten drastischen Schritt, um nicht auf der Straße zu landen. Was genau sie tut, wird erst nach und nach entblättert. Zunächst sieht man Moonee immer häufiger in der Badewanne sitzen, dazu läuft sehr laute R'n´B-Musik. Das Mädchen seift seine Barbies ein und wäscht den Spielzeugfiguren die Haare. Erst langsam dämmert, was hinter der verschlossenen Tür zum Schlafzimmer eigentlich geschieht.

Dass all das nicht furchtbar tragisch wird, liegt am Blickwinkel, den Regisseur Sean Baker (zuletzt 2015 in Sundance für Tangerine L.A. gefeiert) für The Florida Project wählt. Man sieht diese Welt aus der Sicht der Kinder und für sie ist dieser letzte Sommer, bevor die Schule beginnen soll, ein einziges großes Abenteuer. Egal, ob sie durch die Felder bis zu einer Kuhweide laufen und Moonee stolz zu ihrer Freundin Jancey sagt: "Siehst Du, ich habe Dich auf eine Safari mitgenommen." Oder wenn sie sich vor dem Regen unter die dicken Äste eines alten Baumes flüchten, der von dem lianenhaft herabhängenden spanischen Moos wie eine pelzige Trauerweide umschlossen wird. Es sind diese Bilder ihrer Entdeckungstouren, die stark an die Geschichten Truman Capotes erinnern. Als hätte man die schwüle Südstaaten-Atmosphäre aus Romanen wie Die Grasharfe und Andere Stimmen, andere Räume destilliert und mit den Geschichten dieser Kinder vom Rand der heutigen amerikanischen Gesellschaft ergänzt.

Die Realität bricht aber immer wieder in diese Kinderwelt ein. Die verfallenen Häuser, die die drei Freunde durchstreifen, sind Überbleibsel der Immobilienblase. Polizei und Sozialamt stehen öfter vor den Türen des Motelkomplexes. Und der Hausmeister und Gebäudemanager vertreibt schon mal einen Pädophilen von dem Parkplatz, auf dem die Kinder spielen. Überhaupt ist es diese Figur des Hausmeisters (Willem Dafoe, grandios wie immer), die wie ein Schutzengel für die Familien sorgt. Eine gute Seele im Kampf gegen die alltäglichen Widrigkeiten. Dass auch er die endlose Spirale des sozialen Abstiegs von Moonees Mutter am Ende nicht aufhalten kann, ist klar. Dennoch versucht er sein Bestes, um den Kindern eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen. Es sind Erwachsenenfiguren wie diese, die The Florida Project zu einem warmherzigen Film machen, der Missstände zwar anspricht, aber nicht in die Hoffnungslosigkeit abdriftet. Und Bakers Kinderfiguren sind so stark und mutig, dass man ihnen zutraut, mit jedem Schicksalsschlag klarzukommen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-florida-project-2017