Agnes und seine Brüder (2004)

Familien und andere Katastrophen

„Alle Familien sind verkorkst“, so lautet der Titel eines Buches von Douglas Coupland, und wenn man sich Oskar Roehlers neuen Film Agnes und seine Brüder anschaut, dann könnte an dieser These etwas dran sein.

Und so ist das erste Statement von Agnes (Martin Weiß), dass vieles in seiner/ihrer Familie unbewältigt ist, gelinde gesagte eine dezente Untertreibung. Agnes war früher einmal ein Mann und ließ sich aus Liebe zu Henry (Daniel Lee) zur Frau umoperieren. Kurz darauf verschwand dieser Mann, und Agnes arbeitet nun als Tänzerin in einer Bar. Und das Leben seiner Brüder ist kaum besser: Der linkische und ständig schwitzende Hans-Jörg (Moritz Bleibtreu) arbeitet als Hilfsbibliothekar an einer Universität und hat kaum Glück bei den Frauen, so dass er schließlich zum vereinsamten Voyeur wird, der die Studentinnen auf der Damentoilette beobachtet. Schließlich wird er dabei erwischt und fristlos entlassen.

Werner (Herbert Knaup), der scheinbar erfolgreichste der drei, ist ein etablierter Grünen-Politiker und trägt all die Insignien der Gutbürgerlichkeit: Ein eigenes Haus, eine attraktive Frau (Katja Riemann), zwei süße Kinder, einen Hund und ein großes Auto nebst Chauffeur. Doch der Schein des heiteren und unbeschwerten Familienlebens trügt, die Ehe ist längst kaputt, die Partner entfremdet, die Kinder aufsässig und Werner engagiert sich mit aller Energie für die Einführung des Dosenpfandes. Willkommen in einem ganz normalen deutschen Haushalt. Komplettiert wird die Familie von einem exzentrischen Vater (Vadim Glowna), der nur in sturzbetrunkenem Zustand über die verstorbene Mutter, die angeblich in Stammheim ihr Leben ließ, sprechen kann und der nun mit einem Mann zusammenlebt.

Auf einer Fahrt der drei Geschwister zu ihrem Vater kommt es schließlich zum Eklat, als Hans-Jörg die Behauptung aufstellt, sein Vater habe seinen jüngeren Bruder sexuell missbraucht. Erbost verlässt er den Wagen, während die anderen beiden beim Besuch sichtlich darum bemüht sind, den Anschein der Normalität zu wahren. Doch die Realität ihres jeweils verpfuschten Lebens ist längst dabei, sie einzuholen.

Mit satirischem Biss, einem ausgeprägten Interesse für seine skurrilen Figuren und viel Sinn für witzige Details wagt Oskar Roehler einen Blick auf das Innenleben einer ach so heilen Familie, und legt lustvoll und schonungslos die kleinen und großen Lebenslügen auseinander. Ein sehr unterhaltsame und exzellent besetzte Familientherapie, bei der vor allem der Frauenliebling Moritz Bleibtreu als linkischer Loser brilliert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/agnes-und-seine-bruder