Der Wald vor lauter Bäumen

Schmerzliche Nähe

Die junge, wohlerzogene und recht naive Lehrerin Melanie Pröschle (Eva Löbau) aus Schwaben kommt zu ihrem ersten richtigen Job in die badische „Metropole“ Karlsruhe. Hier, so hat sie sich vorgenommen, will sie alles richtig machen, denn jeder ist seines Glückes Schmied. Also ist es für sie selbstverständlich, dass sie im Job vorbildlich ist und glänzt und sich auch mit den neuen Nachbarn bestens versteht, weswegen es zur Einführung im Haus erst mal nett gemeinte Geschenke gibt. Das hat sie so gelernt, die junge Frau kann einfach nicht anders, als sich genau so zu verhalten.

Doch Melanie Pröschles Gutmütigkeit und Naivität wird von ihrer Umwelt gnadenlos ausgenutzt. Ihre Schüler entpuppen sich als erbarmungslose Monster, die die vermeintliche Schwäche der „Neuen“ bis an die Grenzen des Erträglichen ausreizen, die lieben Kollegen verabscheuen den „frischen Wind“, den Frau Pröschle mit den besten Absichten in die Schule tragen will, und beginnen, die Kollegin alsbald aufs Heftigste zu mobben. Und selbst der einzige Kollege, der zu ihr hält, Thorsten Rehm (Jan Neumann), scheint eigennützige Absichten mit seinen plumpen Annäherungsversuchen zu haben. Der Schulalltag wird mehr und mehr zum Spießrutenlauf, und schon bald lässt es sich nicht mehr verbergen, dass Melanie Pröschle die Dinge nicht mehr im Griff hat.

Dummerweise läuft es privat ganz ähnlich. Als Melanie die Boutiquenbesitzerin Tina (Daniela Holtz) kennen lernt, hat sie endlich eine Freundin gefunden. Doch Tina duldet die „Landpomeranze“ lediglich, weil sie gerade von ihrem Freund verlassen wurde. Und schon bald werden ihr die Besuche und Melanies Fürsorge zu viel, so dass sie sich mehr und mehr zurückzieht. Die frustrierte Lehrerin will das allerdings nicht wahrhaben und beginnt sich mehr und mehr zu erniedrigen, um nicht komplett den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Es tut richtiggehend weh, der Protagonistin in Maren Ades Debütfilm Der Wald vor lauter Bäumen zuzuschauen, und das nicht, weil die Geschichte oder die Hauptdarstellerin so schlecht wären – im Gegenteil. Eva Löbaus Interpretation der jungen und naiven Lehrerin aus der schwäbischen Provinz ist von einer so irritierend lebensechten und nahen Intensität, das man nicht anders kann, als zwischen Abscheu, Mitleid und unterdrücktem Lachen zu schwanken, das einem alsbald im Halse stecken bleibt. Immer wieder glaubt man Menschen zu erkennen, die man auch mal irgendwo getroffen hat, Menschen, die es doch eigentlich nur gut meinen, und die genau deswegen unsäglich nerven. Und im Nu wird so das ganze Dilemma greifbar: Melanies Jagd nach Liebe und ein klein wenig Anerkennung, die Gnadenlosigkeit der Umwelt auf ihre unbeholfenen Aktionen, das zunehmende Verstummen und die ganze Tragik, die sich dahinter verbirgt, ein Leben das eigentlich so gut sein könnte, und das doch zum Scheitern verurteilt ist. Ein Film, der einem heimlich, still und leise unter die Haut geht und der einen nicht wieder los lässt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/der-wald-vor-lauter-baumen