Paradise Now – Berlinale Wettbewerb 2005

Aus dem Leben zweier Selbstmordattentäter

Wer kennt nicht die Nachrichten von palästinensischen Selbstmordattentätern, die sich mit Sprengstoff am Leib nach Israel begeben, um dort möglichst viele Menschen mit sich in den Tod zu reißen? Und selbstverständlich wartet auf die Märtyrer des Dschihad das Paradies, so predigen uns immer wieder die selbst ernannten Nahost-Experten, die Feinbilder und Vorurteile eher zementieren, als uns die Beweggründe plausibel zu machen.

Ein ganz anderes Bild zweier Selbstmordattentäter zeichnet der palästinensische Regisseur Hany Abu-Assad in seinem Aufsehen erregenden und provokanten Spielfilm Paradise Now, der einen absurden, manchmal ironischen und äußerst treffenden Blick auf den Nahost-Konflikt wirft. Khaled und Said sind zwei junge Palästinenser aus Nablus, die sich bereits seit ihrer Kindheit kennen und die nach getaner Arbeit gerne mal ein Wasserpfeifchen durchziehen. Eigentlich zwei Kerle, die keiner Fliege etwas zuleide tun können. Doch in einer Gesellschaft, die kollektiv derart von alltäglicher Gewalt, Opferbereitschaft und Märtyrertum beherrscht ist, haben die beiden kaum eine Chance, sich den Rekrutierungsversuchen der Hamas zu erwehren, zumal das Leid auch in ihrer eigenen Familie der Normalzustand ist. Nach dem absurden „Dreh“ des obligatorischen Märtyrervideos, bei dem zweimal die Kamera versagt und einem letzten Abendmahl (das nicht umsonst auch so aussieht wie eines), sehen sich die beiden Freunde mit Sprengstoff am Leib unterwegs zur Grenze. Doch die Operation läuft anders als geplant, sie verlieren sich aus den Augen, so dass jeder auf sich alleine gestellt ist und für sich selbst beantworten muss, was dieser Wahnsinn eigentlich soll. Khaled entscheidet sich um und kehrt nach Hause zurück, Said allerdings will seinen Auftrag unbedingt durchführen...

Politisch gerieren sich viele Filme auf der Berlinale, doch nur wenigen gelingt ein so treffsicheres und aufrüttelndes Porträt einer Gesellschaft und eines Konfliktes, von dem wir alles zu wissen glauben und von dem wir doch – wie es scheint – keine Ahnung haben. Die Menschen, von denen wir stets annehmen, sie seien fanatische Monster, erhalten ein Gesicht, eine Stimme, ein Milieu und einen sozialen Background, der ihre Taten und die Konflikte, die sie mit sich herumtragen, versteh-, aber nicht entschuldbar macht. Sie verdeutlichen, wie schwer es ist, sich dem Druck von außen zu verschließen und sie zeigen, wie seltsam, absurd und erschreckend alltäglich dieser Konflikt ist, den wir stets aus sicherer Entfernung auf die Mattscheiben unserer Wohnzimmer gebracht bekommen. Hany Abu-Assad schafft es mit Paradise Now, genau diese bequeme Distanz aufzuheben, und für Lachen, Weinen und Entsetzen zu sorgen. Einer der intensivsten Filme der Berlinale 2005.

Der Film wird über den Constantin Verleih 2005 in die deutschen Kinos kommen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/paradise-now-berlinale-wettbewerb-2005