Die Bluthochzeit

Der schönste Tag im Leben

Eine Filmkritik von Holger Lodahl

“An diesen Tag wirst Du Dein Leben lang denken! Und das ist das Wichtigste beim Hochzeitstag!“ Mit diesen weisen Worten wendet sich der schwerreiche Vater Hermann Walzer (Armin Rohde) an seinen Sohn Mark (Arne Lenk), noch nicht wissend, dass sich seine Prognose in bitterer Weise verwirklichen wird. Es ist der Hochzeitstag von Mark Walzer und seiner Angetrauten Sophie (Lisa Marie Potthoff), und wie es sich gehört, sind die Familien und Freunde eingeladen zum schmucken Fest in Kleid und Anzug. Vater Walzer hat sich nicht lumpen lassen und für den großen Tag den gehobenen Landgasthof in der Eifel ausgesucht – wohl wissend, dass es durchaus zu Konflikten kommen kann. Das Gasthaus wird geführt von dem Gourmetkoch Franz Berger (Uwe Ochsenknecht), der verzweifelt versucht, das Geschäft aufrecht zu erhalten – und wenn diese Saison nicht gut wird, „dann ist es die letzte gewesen.“ Seinen Stolz hat er sich trotz der Finanzmisere bewahrt: Das üppige Kaufgebot Walzers lehnt er wiederholt ab.

Und obwohl die Kamera über die strahlende Idylle der Eifel schwenkt, die Sonne vom Himmel lacht und die Kleider der Damen nur vom Feinsten sind, ahnt man schnell, dass dies Bild trügt. Einer Laune nachgehend unterbricht Walzer eben mal die Fahrt, um einen Schwarm Fasane zu schießen. Stolz lässt er die Tiere vor der Braut baumeln und beweist seine Macht. Als während des Essens eine Vorspeise verdorben sein soll, kann der in seinem Stolz verletzte Kotzbrocken Walzer nicht mehr an sich halten: Er haut mit der Faust auf den Tisch, bis die Weingläser umfallen und scheucht die Hochzeitsgesellschaft hinaus. Darüber hinaus weigert er sich, die Rechnung zu begleichen. In seiner Raserei bemerkt er nicht, dass seine Frau und die Braut im Bad sind, um die so symbolischen Rotweinflecken aus dem jungfräulichen Hochzeitskleid zu waschen. Die Frauen bleiben zurück, und während Walzer mit seiner Gefolgschaft den Hof verlässt, erkennt Berger seine Gelegenheit, verschließt das Hoftor und behält die Frauen auf seinem Hof, um auf diese Weise das Bezahlen der Rechnung zu erzwingen.

Trotz der Geiseln, die Berger hinter Schloss und Riegel hält, hat ihn der Sinn für Gerechtigkeit noch nicht verlassen: Durch einen Hinterausgang lässt er zwei Gäste gehen, damit sie die Polizei holen können. Jedoch kann Walzer, der sich inzwischen in einem Landhaus in der Nähe einquartiert hat, das radelnde Pärchen abfangen, um sie ebenfalls als Geiseln im Keller einzusperren. Vorher hat er nicht versäumt, die Telefonleitung Bergers zu zerstören, Handys sind in der sonnigen Einöde nur funklose Nutzlosigkeiten.

Die Fronten verhärten sich mehr und mehr, und Wachposten gehen Patrouille vor dem Burgtor, während die Frauen aus dem Fenster um Hilfe rufen. Eine aufkeimende Revolte gegen die Aggressivität Walzers kann der Patriarch niederschmettern, genau wie Berger seine Leute im Schloss beeinflussen kann. Opa Walzer allerdings scheint sich wohl zu fühlen und erinnert sich an seine Kriegs-Jugend: Eine im Schuppen gefundene Handgranate schmeißt er in übermüdlichter Laune über das Tor, nichts ahnend, dass das alte Ding scharf ist und mit großer Explosion den Mercedes eines Gastes in die Luft sprengt.

Von nun an schaukeln sich Reaktion und Gegenreaktion immer bedrohlicher hoch, unglückliche Zufälle und Missverständnisse werden missdeutet und zeigen in kleinen Ursachen große Wirkung. Spätestens nach den ersten Schwerverletzten gerät die Situation außer Kontrolle, und Walzer, der seinen Sohn ermordet wähnt, durchbricht in rasendem Hass das Tor, um Berger endgültig zu besiegen. Doch ein Hochzeitstag ist kein Hochzeitstag, wenn die Liebe nicht siegen würde, wenngleich auch auf eine Weise, die nicht zu erwarteten gewesen ist.

Der belgische Regisseur Dominique Derrudere hat im Jahr 2000 mit Jeder ist ein Star! bewiesen, dass er tragisch-komische Geschichten inszenieren kann – eine Oscar-Nominierung war sein Lohn. Doch komisch ist an Die Bluthochzeit gar nichts mehr. Während die einleitende Kamerafahrt über der sonnigen Eifel noch Harmonie vorgaukelt, tritt mit Armin Rohde als Walzer das Böse auf die Leinwand. Als Zuschauer ahnt man schnell den Tyrannen in ihm, und Rohde bleibt in seinem Spiel der Figur immer treu. Kaum ein deutscher Schauspieler könnte den aggressiven Familienvater besser verkörpern als Rohde, der schon durch seine massige Körperlichkeit und den abfälligen Blick auf seinen Sohn durchblicken lässt, dass in ihm der Wahnsinn schlummert. Uwe Ochsenknecht überzeugt ebenso in der Rolle der verarmten Kochs, und das Schauspieler-Ensemble um die beiden Hauptfiguren ergänzen nahezu perfekt den Kreis.

Man könnte vermuten, dass bei einem Film mit über zwanzig Figuren die Übersicht verloren geht oder die Glaubwürdigkeit der Charaktere leidet. Aber weit gefehlt - den Drehbuchautoren gelingt es, den Figuren mit wenigen Szenen und Worten Leben einzuhauchen und ihnen Charakter zu verleihen. Es ist erfreulich, dass in diesem Film jeder Satz und jede Szene Sinn macht und maßgebend zur Story beiträgt. Dadurch wird Die Bluthochzeit zur keiner Minuten langweilig: Es ist bitter zu sehen, dass die beiden Männer in ihrem persönlichen Hass unbeteiligte Menschen mit ins Unglück ziehen; es ist erleichternd, den eingesperrten Frauen zuzusehen, wie sie sich in ihrem Gefängnis neu kennen lernen und sich gegen Berger verschwören; und es lässt hoffen, dass auch in ausweglos erscheinenden Situationen die Liebe und Freundschaft entstehen kann. Ein Wehrmutstropfen allerdings bleibt: Das Ende scheint etwas zu konstruiert und die sich auf dem Höhepunkt der Dramatik befindende Situation löst sich zu schnell auf, um als Zuschauer so ganz befriedigt das Kino-Licht angehen zu sehen.

Dominique Deruddere möchte seinen Film als Metapher für Konfliktsituationen in der Welt sehen, in der die Herrscher der Welt andere Menschen ins Verderben treiben, obwohl es doch nur um den eigenen Stolz und verletzte Eitelkeiten gehe. Die Bluthochzeit ist daher auch als Kritik an die Konfliktsituation der Welt zu lesen. Dass sich Walzer mit seinem Clan auf ein Landhaus zurückzieht und dies offensichtlich einem Amerikaner gehört, ist kein Zufall. Auch die Handgranate, von der Opa meint, sie müsse ja eigentlich entschärft sein, stammt von den Amis. Die Abgeschiedenheit des Ortes und das Fehlen von Kommunikation nach außen (ohne Telefon oder Handy) und zum Feind (Walzer und Berger weigern sich beide, ihren Konflikte anzusprechen) steht für die kriegerische und ausweglos erscheinende Situation in der Welt. Die Menschen um die Tyrannen herum wollen einfach nur ihren Frieden – werden aber entweder nach einem Fluchtversuch eingesperrt oder lassen sich benutzen. Insofern ist Die Bluthochzeit auch eine Art Anti-Kriegsfilm, denn er schreit nach Kommunikation und zeigt, wohin Egoismus und das Durchsetzen von persönlichen Zielen führen kann – auch bei Menschen, die keine Weltherrscher sind.

Die Bluthochzeit könnte ein Achtungserfolg an der Kinokasse werden. Inhaltlich würde er die deutschen Erfolgsfilme, die zur Zeit um Kinderfilme und Filme um den Nationalsozialismus kreisen, ergänzen. Der Film hätte es verdient.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/die-bluthochzeit