Das Goebbels-Experiment

Die Banalität des Bösen

Er war ein Meister der Inszenierung und der Manipulation und ein willfähriger, opportunistischer Gefolgsmann des Führers, von dem er sich anfangs bei der Regierungsbildung im Jahr 1933 noch übergangen glaubte. Doch nach und nach wurde er zu einer der zentralen Figuren des Nazi-Regimes, verstrickt in die Ränkespiele der Intrigen, die er vor allem mit Hermann Göring führte - Joseph Goebbels, der „Reichslügenbold“, wie der Volksmund den schmächtigen Intellektuellen nannte. Wie kann man sich einem solchen Mann, der wie kein zweiter für perfide Lügen und zynische Propaganda steht, überhaupt annähern?

Die Antwort, die die beiden Filmemacher Lutz Hachmeister und Michael Kloft auf diese Frage geben, ist erstaunlich: Sie lassen Goebbels einfach (für sich selbst) sprechen. In ihrer Dokumentation des kleinen Rheinländers mit dem Klumpfuß entwickeln sie anhand von (teilweise bislang unveröffentlichtem) Filmmaterial und mit Auszügen aus den Tagebüchern des besessenen Schreibers und Chronisten Goebbels – vorgetragen vom Schauspieler Udo Samel – eine Reise in die Psyche des Reichspropagandaministers. Mittels bisweilen sprunghafter Montagen zeichnen sie den Werdegang des studierten Germanisten Goebbels nach, der vom „völkischen Sozialisten“ zum jüngsten Minister Europas aufstieg und dessen Propaganda das Bild des Dritten Reiches wesentlich prägte.

Es ist schon seltsam, dass 60 Jahre nach Ende der Naziherrschaft der oberste Propagandachef derart ungefiltert zu Wort kommt. Und genau das macht den Reiz des in der Tat wagemutigen Experimentes aus – der Verzicht auf jede Form von Belehrung, Kommentar oder all zu offensichtlicher Distanz. Das ist – zumal in Zeiten wie diesen – ein Wagnis, aber es ist eines, das wir prinzipiell aushalten müssen. Angesichts der Ergebnisse der NPD bei Landtagswahlen bleibt allerdings das Unbehagen, denn es ist ebenso gut möglich, dass der Film als Dokument der Aufklärung wie als Kultfilm der Neuen Rechten gefeiert wird. Zwar ist Goebbels als Identifikationsfigur für die Neonazi-Szene wenig geeignet, findet Lutz Hachmeister, weil er bereits während des „Tausendjährigen Reiches“ innerhalb der Partei als Außenseiter galt. Doch so viel Differenzierungsvermögen mag man den braunen Horden kaum zutrauen, immerhin haben sie auch den abtrünnigen „England-Flieger“, den ehemaligen Führer-Stellvertreter Rudolf Hess aufs Propaganda-Schild gehoben und lügen den früher als Verräter Verpönten zur nationalen Kultfigur um. Das ist eine deutliche Gefahr der nun aufflammenden Diskussion, die es mit Sicherheit um diesen Film geben wird.

Eigentlich entlarvt Das Goebbels-Experiment durch den „Kunstgriff“, dass der Propagandaminister für sich selbst spricht, in subtiler Weise die kleinbürgerlich-spießige Sichtweise eines zutiefst verklemmten und verstörten Menschen – und das sollte kaum jemandem verborgen bleiben. Wer die Texte des besessenen Tagebuchschreiber Goebbels hört oder sie bereits anderweitig kennt, ist erstaunt und bisweilen amüsiert über die Mischung aus Wehleidigkeit, Pathos und zynischer, bisweilen sogar seltsam unreifer Politpolemik der übelsten Sorte. Problematischer ist da schon der Umgang mit den Bildern und der Montage. Raum zum Forschen nach dem Warum, nach den Ursprüngen dieser Entwicklung gibt es kaum, der schnelle Schnitt und die Musikuntermalung nivellieren das Historische, machen eine Unterscheidbarkeit der Bilder kaum mehr möglich und fordern den politisch vorgebildeten Zuschauer, der die Zusammenhänge einzuordnen weiß. Doch es stellt sich die Frage, ob diese Subtilität wirklich ankommt und ob das (deutsche) Kinopublikum den Demagogen wirklich so versteht, wie er von den Filmemachern intendiert ist. Ein schwieriger und polarisierender Film, der wahrscheinlich heftige Diskussionen auslösen wird, ob man sich so einem der zynischsten Täter des Nazi-Regimes annähern kann. Die Antwort kann nur beim Zuschauer liegen, und zwar bei jedem einzelnen.

Foto (C) Bayerische Staatbibliothek

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/das-goebbels-experiment