Epidemic

Ein neuer alter Film von Lars von Trier

Wer meint, bereits jeden Film des dänischen Meisterregisseurs (manche nennen ihn allerdings auch einen Scharlatan) Lars von Trier zu kennen, gleich vorab eine kleine Überraschung: Der Real Fiction Filmverleih bringt einen frühen Film von Triers in die Kinos, der bis zum heutigen Tage in Deutschland nicht zu sehen war – sein Titel ist Epidemic. Dieser Film entstand 1987 als zweiter Teil der Europa-Trilogie, die mit The Element of Crime 1984 begann und mit Europa 1991 endete.

Der Filmregisseur Lars (Lars von Trier) und sein Drehbuchautor Nils (Nils Vørsel beide spielen also sich selbst) sind geschockt bis amüsiert, als ihr Filmskript The Whore and the Cop (eine Anspielung auf den Plot von The Element of Crime) durch eine Computerpanne unrettbar gelöscht wird. Ausgerechnet jetzt, denn in fünf Tagen müssen sie das Skript einem Abgesandten der dänischen Filmförderanstalt vorlegen. Doch dummerweise können sich die beiden überhaupt nicht mehr daran erinnern, was sie sich da eigentlich ausgedacht haben und beschließen kurzerhand, einfach ein neues Buch zu schreiben. Ein neuer Titel ist schnell gefunden – Epidemic soll der Film heißen. Und auch das Grundgerüst der Handlung ist schnell klar: Ein Arzt namens Dr. Mesmer (ebenfalls gespielt von Lars von Trier, der Name ist eine Anspielung auf den Erfinder der Hypnose, die wie in den beiden anderen Filmen der Trilogie eine zentrale Rolle spielt) macht sich auf, um mit Hilfe von Aspirin eine gefährliche und todbringende Epidemie zu bekämpfen. Doch die idealistischen Bemühungen Mesmers sind nicht von Erfolg gekrönt, denn ohne es zu wollen, sorgen seine Ausflüge in die Quarantänezone erst recht dafür, dass sich die Ausbreitung der Seuche beschleunigt.

Trotz der vielen Ideen, die der Regisseur und sein Autor haben, bringen sie bis zum Stichtag gerade mal 12 Seiten zu Papier, mit denen sie schließlich den Filmförderer (auch hier spielt eine Figur sich selbst, denn der Darsteller des Finanziers in spe Claes Kastholm Hansen ist auch im richtigen Leben beim Danish Film Institute beschäftigt) davon überzeugen wollen, das Projekt zu finanzieren. Um der Geschichte den notwendigen Nachdruck zu verleihen, engagieren sie zum Abendessen mit ihrem Produzenten ein Medium, das in Trance versetzt wird und den Ausbruch der Epidemie in drastischen Worten schildert. Allerdings macht sie ihren Job ein wenig zu gut, denn während des Essens bricht unvermutet und heftig eben jene Epidemie aus, die bislang nur auf dem Papier und in den Köpfen der Beteiligten bestand. Die Anwesenden werden auf entsetzliche Weise dahingerafft.

Epidemic ist vieles gleichzeitig: Komödie und Tragödie, großer Spielfilm (besonders in den Szenen, in denen der neue Film gezeigt wird, die Kamera besorgte hier übrigens Henning Bendtsen, der für die Kameraführung in Carl Theodor Dreyers letzten Meisterwerken verantwortlich zeichnete) und raue Dokumentation (dieser Teil ist auch visuell deutlich getrennt von der Spielfilmhandlung), Film-im-Film und Film über Film, eine augenzwinkernde Fingerübung und zugleich das eigentliche Herzstück der Europa-Trilogie. Wer meint, Lars von Triers frühe Filme seien allesamt vollkommen anders als die späteren, unter dem Einfluss von DOGMA95 gedrehten Werke, findet hier einen eindrucksvollen Gegenbeweis, dass die Lust an der Beschränkung sich bereits schon früher äußerte. Fast dokumentarisch und reichlich selbstironisch schildert Lars von Trier den Alltag des Filmemachens, des kreativen Prozesses als eine Mischung aus seriöser Anstrengung und mindestens ebenso großer Scharlatanerie. Und ganz nebenbei thematisiert er eine der Urängste vieler Filmemacher, die Furcht, dass das eigene Werk außer Kontrolle gerät und ungeahnte Folgen nach sich zieht. Und selbst während des blutigen Endes, das manchem Splatter-Film zur Ehre gereicht hätte, fehlt es nicht an ironischen Wendungen, wenn der Regisseur selbst ganz am Ende kurz den von Geschwüren entstellten Kopf hebt und in die Kamera zwinkert. Es ist eben doch alles nur ein Spiel mit der Wirklichkeit. Oder vielleicht doch nicht?

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/epidemic