Der Kaufmann von Venedig

Shakespeare und kein Ende

Was in den Neunzigern unter der Ägide von Kenneth Brannagh als Mikrotrend begann, setzt sich auch im neuen Jahrtausend munter fort – die filmische Bearbeitung des Werkes von William Shakespeare. Doch während der häufig recht selbstverliebt agierende Brannagh vor allem die ganz leichte Muse des Dichterfürsten aus Stratford-upon-Avon bevorzugte, widmet sich der Regiealtmeister Michael Radford einer Komödie Shakespeares, die als eines der schwersten und tragischsten Werke des vermeintlich leichten heiteren Fachs gilt – Der Kaufmann von Venedig. Schwierig ist das Werk vor allem deshalb, weil es das zeitgenössische Klischee vom geizigen, hartherzigen und geldgierigen jüdischen Händler ungeniert bedient.

Die Story, die im Venedig des 16 Jahrhunderts spielt, dürfte so manchem noch aus der Schule bekannt sein: Aus Freundschaft zu dem frisch verliebten, aber hoch verschuldeten Aristokraten Bassanio (Joseph Fiennes) lässt sich Kaufmann Antonio (Jeremy Irons) auf einen ungewöhnlichen Handel mit dem jüdischen Geldverleiher Shylock (Al Pacino) ein. Für einen Kredit von 3.000 Dukaten bürgt Antonio, der sich baldiger Einnahmen durch ausgelaufene Handelsschiffe sicher ist, mit einem Pfund seines eigenen Fleisches. Mit diesem Geld kann Bassanio jetzt angemessen um die Hand von Portia (Lynn Collins), der reichen Erbin von Belmont, werben. Die Schönheit und ihr Verehrer lieben sich, doch der Besiegelung des Glücks steht eine Klausel von Portias verstorbenem Vater im Wege. Nur den darf Portia heiraten, der aus drei verschlossenen Schatullen die richtige wählt, die ihr Bild enthält. Wie andere Bewerber aus ganz Europa, ja sogar Afrika, tritt Bassanio an, das Rätsel zu lösen. Während er dem Glück ganz nahe kommt, wird ein anderer davon verlassen. Antonio verliert auf See sein Vermögen, seine Schiffe mitsamt der wertvollen Ladung versinken unrettbar im Meer, und damit kann er seine Schulden bei Shylock nicht begleichen. Jetzt sieht der verbitterte Shylock seine Stunde gekommen, sich für ein Leben der Demütigungen und Diskriminierungen zu rächen. Er besteht auf die Einhaltung des Vertrages und fordert ein Pfund des Fleisches von Antonio.

Kein Wunder, dass bislang jeder Regisseur vor der Aufgabe zurückschreckte, Shakespeares Werk in Filmbilder umzusetzen, denn der Umgang mit dem latenten Antisemitismus der dramatischen Vorlage erschien als Stoff, an dem man sich nur allzu leicht die Finger verbrennen konnte. Der Schotte Michael Radford (1984, White Mischief / Die letzten Tage in Kenia, Il Postino) umgeht die Fallstricke von Shakespeares Werk sehr geschickt, indem er seinen Fokus auf die Gründe für Shylocks Handeln legt. Mehr noch als beim englischen Dramatiker ordnet er die Figuren in ihre historischen Kontexte und Rahmenbedingungen ein und zeigt, dass Shylocks Insistieren auf die Einhaltung des Vertrages nicht aus reiner Boshaftigkeit entspringt, sondern die lange ersehnte Rache für vielfältige Demütigungen und Diskriminierungen ist. So wird Shylocks berühmter Monolog vor Gericht zu einer der zentralen schlüsselszenen zum Verständnis auch der Intentionen Shakespeares: "Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?"

Darüber hinaus besticht Der Kaufmann von Venedig durch seine opulente und detailgetreue Umsetzung, die teilweise an die Meisterwerke der venezianischen Malerei jener Tage erinnert, und durch einen Cast, der sich sehen lassen kann, allen voran Al Pacino, den seine Leidenschaft für Shakespeare bereits sein ganzes Leben lang begleitet und der sich auch in seinen eigenen Filmen (Looking for Richard)immer wieder dem englischen Dramatiker annähert. Möglicherweise die spannendste Auseinandersetzung mit Shakespeares Werk seit langem, weil man das Gefühl hat, dass Radford und seine Mitstreiter hier wirklich etwas gewagt (und gewonnen) haben.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/der-kaufmann-von-venedig