Last Days

Being Kurt Cobain

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Mann stolpert wie ein Geistwesen durch die unendlich wirkenden Wälder Oregons. Er stolpert, meist die Haare wirr im Gesicht, vor sich hin, murmelt unverständliches Zeug, ist auf einer Reise, deren Ziel nur er selbst kennt. An einem idyllisch gelegenen Wasserfall nimmt der Rockstar ein Bad und kehrt irgendwann – schwer zu sagen, wie viel Zeit seitdem vergangen ist – in sein Zuhause, ein verwahrlostes Landhaus zurück. Dort leben seine Bandkollegen mit ihm zusammen, doch Blake weicht ihnen aus, tut alles dafür, unsichtbar zu sein. Und wenn sein Manager zu Besuch kommt, um die Band noch einmal zu einer Welttournee zu überreden, flüchtet Blake in die Wälder. Denn Blake, der Frontmann und kreative Kopf einer berühmten Band ist längst in einer anderen Welt – jener des Todes…
Bereits auf den ersten Blick ist klar, auf wen Gus van Sants neuer Film Last Days anspielt: Die Mimik, die Kleidung, die äußeren Umstände und die gesamte Erscheinung Blakes sind eine Hommage an Kurt Cobain, den Mastermind der Grunge-Band Nirvana, der unter ähnlichen Umständen den Tod findet wie Blake in Last Days . Doch der Film ist keine pure Repetition der Fakten, keine getreue Hommage an einen der wichtigsten Rockmusiker der Neunziger, sondern vielmehr eine freie Interpretation, die sich lediglich die realen Ereignisse zum Vorbild nehmen, um darüber eine Improvisation über Bewusstseinszustände und die Gedankenwelt eines zerstörten Menschen zu entwerfen. Wie bereits in Gus van Sants Elephant herrscht auch in Last Days jene irritierende Mischung aus Nähe zu den realen Geschehnissen und Verfremdung vor, die mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt und die sich so den gängigen Mustern der Interpretation entzieht. Dermaßen erratisch und irrlichternd in seiner Gestaltung und Erzählhaltung wird Last Days die Zuschauermeinungen gehörig polarisieren, so ist zu vermuten. Wer sich darauf einlassen kann, für etwas mehr als eineinhalb Stunden dem verwirrten Geist eines Menschen auf dem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Realität, Leben und Tod beizuwohnen, für den mag dieser Film in seiner Wirkung ein schockartiges Kinoerlebnis sein. Wer hingegen eher konventionellere Biopics bevorzugt, wird dem Film nur wenig abgewinnen können – zumal dann, wenn er (oder sie) sich nicht in besonderer Weise mit der Musik Nirvanas (deren Songs in Last Days nicht auftauchen) verbunden fühlt.

Bedrückende Stille, verwirrende Geräusche, lose Enden und Leerstellen der Erzählung, endloses Stolpern durch feindlich wirkende Wälder und Details eines Lebens, das längst dem Tod gewidmet ist, sind die Zutaten zu einem Film, der manche Zuschauer mit Sicherheit langweilen wird, der aber in nie zuvor gesehener Weise Zeugnis ablegt über die seelischen Abgründe eines Menschen, der – so die Vermutung – eine Metapher ist für das Fremdsein in dieser Welt. Am Ende steht die Erlösung und Himmelfahrt des Antihelden, und es bleibt nichts weiter übrig, als zu hoffen, dass Blake, wo immer er auch sein mag, den Frieden und die Klarheit gefunden hat, nach der er sich offensichtlich sehnte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/last-days