Sin City

Mit schönen Grüßen von Pulp Fiction

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Was war über diesen Film nicht schon alles im Vorfeld zu lesen: Statements wie „neuer Kultfilm“, „der legitime Nachfolger von Pulp Fiction“, „ekelerregende Gewaltorgie“ oder „die Neuerfindung des Film Noir“ waren nur die gängigsten Pole, zwischen denen bereits vor dem offiziellen Start die Meinungen der Filmjournaille hin- und herwogten. Zwar sorgte es für Erstaunen bis Befremden, dass der beinahe sichere Kassenschlager dieses Sommers es tatsächlich bis in den Wettbewerb des Filmfestivals Cannes schaffte. Doch zugleich konnte sich die Festivalleitung sicher sein, dass Sin City neben der Premiere von Star Wars Episode III mit Sicherheit das Spitzenevent der diesjährigen Filmfestspiele sein würde. Und was tut man nicht alles für ein wenig mehr Publicity beim bedeutendsten Festival der Welt?

Und tatsächlich enttäuscht der Film die Erwartungen nicht, denn es ist genau das zu sehen, was bereits im Vorfeld bekannt und zu erwarten war: Perfektes, düsteres Popcorn-Kino in Hochform aus den bekannten Versatzstücken Comic, Pulp und Hollywoods Schwarzer Serie. Bei diesen Vorbildern dürfte es niemanden ernsthaft überrascht haben, dass die Figuren holzschnittartig vereinfacht und ohne großen Tiefgang geraten sind und sich zumeist in Stereotypen der verschiedenen Genres ergehen: Femmes Fatales, korrupte Bullen, verliebte „Private Eyes“, abgebrühte Nutten, Glücksspieler und was sonst noch in einer fiktiven Stadt wie Sin City gebraucht wird. Die Melange basiert auf einer Comic-Serie, deren Erfinder Frank Miller bereits Genre-Klassiker wie Elektra und Daredevil ins Leben rief und der auch die Wandlung Batmans vom tumben Toren der späten Sechziger zurück in die düsterere Version des „Dark Knight“ initiierte. Klar, dass es sich der Schöpfer der Comic-Vorlage nicht nehmen ließ, auch bei der Regie selbst Hand anzulegen, tatkräftig unterstützt von Robert Rodriguez und dessen Geistesbruder Quentin Tarantino.

Vieles, eigentlich alles an Sin City ist gewaltig übertrieben, persifliert oder pervertiert, „larger than life“, ganz gleich, ob es die ausufernden Gewaltdarstellungen, das übliche, hier ins Sadomasochistische gewendete Film-noir-Frauenbild oder das arty-farty Neo-Noir-Design des Streifens in schwarz-weiß ist, das lediglich von einigen Farbtupfern durchbrochen wird. Die Handlungsstränge der drei miteinander verwobenen Episoden bieten kaum Neues außer den Versatzstücken Verrat, Liebe (natürlich in ihrer unglücklichen Variante) und Gier. Am besten, man achtet gar nicht allzu sehr auf die Story, die sowieso die zweite oder dritte Geige spielt.

Doch es gibt auch echte Entdeckungen zu machen in Sin City. So etwa die Erkenntnis, dass unser aller Lieblingsrauhbein der späten Achtziger und frühen Neunziger, die Rede ist von Mickey Rourke, hier nach überstandenen Exzessen ein gnadenlos gutes Comeback feiert. Auch der übrige Cast kann sich sehen lassen, Bruce Willis, Benicio del Torro Rosario Dawson, Jessica Alba, Josh Hartnett, Elijah Wood, Michael Madsen und Brittany Murph sind nur die prominentesten Vertreter einer Besetzung, die kaum noch Wünsche offen lässt, ebenso wie die opulente Optik, die sich so nah wie kein Film zuvor an Stil und Atmosphäre der Comic-Vorlage entlang hangelt. Und genau das ist die unbestreitbare Schwäche und Stärke des Films zu gleichen Teilen: Man kann ihn gut oder schlecht finden, sich angewidert abwenden oder zum Sin City-Afficinado werden, aber ernst nehmen oder identifizieren kann man sich nicht.

Eines ist sicher: Sin City wird das nächste große Ding werden. Aber ob das gut ist oder was das bedeutet, das mag jeder für sich selbst entscheiden. Als Provokation oder als neuer Kultfilm taugt der Film allemal.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/sin-city