Fateless – Roman eines Schicksallosen

Chronik eines Scheiterns

Imre Kertészs Roman eines Schicksallosen gehört wohl zu den wichtigsten und beeindruckendsten belletristischen Werken über den Holocaust und ist damit ein Meilenstein europäischer Literatur. Immer wieder wurde der Schriftsteller gefragt, ob er seinen Film nicht auch gerne verfilmt sehen würde, doch stets äußerte er sich zurückhaltend. Um so erstaunlicher war es, als 2001 bekannt wurde, dass Kertész selbst den Schritt vom Roman zum Drehbuch wagen wollte. Ganz offensichtlich empfand es der Literaturnobelpreisträger des Jahres 2002 als dringend erforderlich, dass auch in Ungarn ein Prozess des Nachdenkens über die eigene Verstrickung in der todbringenden Maschinerie des Holocaust einsetzen müsste, ein Prozess der bislang auch bedingt durch die sozialistische Diktatur schlichtweg nicht stattgefunden hatte. Doch Kertész war sich durchaus der vielfältigen Schwierigkeiten bewusst, die eine Verfilmung seines Romanes nach sich ziehen würde und merkte im Vorwort zu seinem Buch Schritt für Schritt - Drehbuch zum Roman eines Schicksallosen an, dass es nicht angeraten sei, \"jene Radikalität der Sprache [zu] suchen\", die den Roman kennzeichne, denn \"Film und Roman sind durchaus gegensätzliche Gattungen.\" Nun hat sich der ungarische Regisseur an die Verfilmung des stark autobiographischen Werkes gewagt und dementsprechend hoch waren die Erwartungen, zumal man um die unmittelbare Beteiligung Kertészs wusste. Doch die Premiere des Films im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale deutete schon an, dass die Verfilmung trotz großer Nähe zum Buch in keiner Weise mit dem Roman mithalten konnte.
Der Film zeigt den Leidensweg des 14-jährigen György Köves (Marcell Nagy) in Budapest im Jahr 1944. Das Kriegsende ist bereits spürbar näher gerückt, und trotzdem leidet die Zivilbevölkerung unter den Schikanen des faschistischen Pfeilkreuzler-Regimes, das mit den Nazis eng zusammenarbeitet. Nach seinem Vater wird bald schon auch György deportiert und landet schließlich im Vernichtungslager Auschwitz. Der Weg dorthin, die Torturen im Lager und der Weg zurück in seine Heimat, davon erzählt Fateless. Ein schwieriges und sensibles Thema also, zumal bis dato kaum eine Aufarbeitung der Verstrickung Ungarns im Zweiten Weltkrieg geschehen war.

Bereits in Ungarn war die Presse aller politischen Couleur nicht gerade freundlich mit Fateless umgegangen, und nach der Vorstellung in Berlin reagierte die deutsche Presse kaum anders. Ein Kritiker meinte gar, der Regisseur Lajos Koltai gehöre „für das, was er mit Fateless angerichtet hat, verprügelt“. Solch ein Urteil mag vielleicht auf den ersten Blick ein wenig zu hart erscheinen, doch bisweilen ist Koltais Art, das ganz realen Grauen der Konzentrationslager zu ästhetisieren, nahezu ekelerregend und wird den historischen Ereignissen in keiner Weise gerecht. Es sind zweifelsohne ausgesucht schöne Bilder, die er und sein Kameramann Gyula Pados gefunden haben, doch sie wirken entsetzlich deplaziert und nachgerade zynisch. Erschwerend hinzu kommt die Musik von Ennio Morricone, die dem Leiden eine kaum zu ertragenden Zug ins Pathetische gibt. Da wird es auch nicht besser, dass der Film – dem Weg des Romans folgend – vorgibt, die Geschichte aus der Perspektive von György Köves (Marcell Nagy) zu erzählen. Denn die Bilder, sie rekurrieren auf den Schlusssatz aus dem Roman, dass es in manchem Momenten noch so etwas wie Glück gegeben hätte. Eine relativierende Aussage, die im Film allerdings zu einer nachträglich beinahe zynisch wirkenden „Ästhetisierung des Sterbens“ benutzt wird.

Was bei Roberto Benignis wunderbarem Film Das Leben ist schön noch die Zuschauer verzückte – die Darstellung des unfassbaren Grauens der Konzentrationslager mit einem kindlich-naiven Blick – , misslingt in Lajos Koltais Verfilmung des Romans von Imre Kertész leider fast auf der ganzen Linie. Das Ganze wirkt mitunter unerträglich amerikanisch-pathetisch, dass eine Identifikation mit den Hauptfiguren kaum mehr möglich und auch überhaupt nicht nötig erscheint, was bei einem Thema dieser Bedeutung eine echte Katastrophe ist. So können auch einige sehr eindrucksvolle Szenen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Großprojekt einer Verfilmung der erstklassigen Romanvorlage gescheitert ist – so sehr man dies auch mit dem Verweis auf das gewagte Unternehmen würdigen möchte. Vielleicht sollte man sich diesen Film ja gerade deshalb anschauen, um zu lernen, wie man keinesfalls mit solch einem Thema und so einer grandiosen Romanvorlage umgehen darf.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/fateless-roman-eines-schicksallosen