Allein (2004)

Diesseits und jenseits der eigenen Grenzen

Eine Filmkritik von Gesine Grassel

Wenn Menschen ein zu perfektes Leben führen und alles wie am Schnürchen läuft, sind sie unglücklich. Oder es passiert etwas Unvorhergesehenes, was das in sicheren Bahnen geglaubte Leben aus den Angeln hebt. So auch Bibliotheksgehilfin Maria. Ihr heiliger Name „die von Gott Geliebte“ hat nichts mit der Realität zu tun. Maria leidet unter dem Borderline-Syndrom. Sie kennt keine Grenzen, kann Zurückweisung und Alleinsein nicht ertragen, lebt in Exzessen. Von Sicherheit oder dauerhaften Bindungen ist in ihrem jungen Dasein nichts zu spüren. Sie kann ihre Gefühle nicht steuern, lässt Emotionen nicht an sich ran. Auf der anderen Seite sehnt sie sich nach Nähe, kompensiert diese Sehnsucht durch sexuelle Exzesse, Tabletten und Alkohol. Aus Angst vor dem Alleinsein lässt sie sich immer wieder auf den Jahre älteren Wolfgang (Richy Müller) ein, der ihre Störung ausnutzt.

Eines Tages tritt der Medizinstudent Jan (Maximilian Brückner) in ihr zerrüttetes Leben. Zum ersten Mal spürt Maria Halt und Geborgenheit. Auf eine Beziehung kann sie sich zunächst nicht einlassen. Zu groß ist ihre Angst, dass diese Bindung scheitert und sie verletzt wird. Aus Verzweiflung greift sie erneut zu Alkohol und Tabletten und erleidet einen Zusammenbruch. Jan kümmert sich um sie und lässt nicht locker. Maria fasst zunehmend Vertrauen, bricht ihre Therapie ab und beendet ihre Affäre mit Wolfgang. Als Jan für einige Tage auf Exkursion ist und Maria allein zurücklässt, fällt ihre Welt in sich zusammen. In einer Bar trifft sie auf Wolfgang, der ihre Situation durchschaut. Als Maria Jan später den erneuten Seitensprung gesteht, geraten die beiden in einen heftigen Streit. Nur langsam entdeckt Maria, was sie wirklich will.

Die junge Schauspielerin Lavinia Wilson ist Maria. Sie ist in ihrer Darstellung so überzeugend und authentisch, dass man die Distanz zwischen Schauspielerin und Filmcharakter an einigen Stellen vergisst. Als Gegenpol zur labilen Maria steht deren Freundin Sarah (Victoria Mayer) für Zielstrebigkeit und Glauben an sich selbst. Zu diesem konträren Frauendoppel inszeniert Regisseur und Drehbuchschreiber Thomas Durchschlag Maximilian Brückner als liebevollen und besorgten Jan. Die drei jungen Schauspieler harmonieren und auch Richy Müller als sexhungriger Wolfgang passt wunderbar ins Ensemble. Getragen wird der Film durchgängig von den Schauspielern, auch an Stellen, an denen die Geschichte ein wenig hinkt. Viel Wert gelegt wurde auf die Bildsprache. Viele Orte und Details sind auffallend realistisch und mehrdeutig.

Allein ist der erste Spielfilm von Thomas Durchschlag. Beim Max-Ophüls-Festival wurde Lavinia Wilson als beste Nachwuchsdarstellerin für ihre Rolle der Maria ausgezeichnet. Daneben ist vor allem Maximilian Brückner, der auch in Sophie Scholl – Die letzten Tage zu sehen war, eine große Nachwuchshoffnung. Allein ist ein ambitionierter Film über die Sehnsucht nach sich selbst und die Gefahr, an der eigenen Person und Umwelt zu scheitern.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/allein