Bin-Jip

Von der Suche nach leeren Häusern und Geborgenheit

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Wenn Tae-suk (Jae Hee) mit seinem Motorrad durch die Straßen düst und nach leeren Häusern Ausschau hält, dann ist ihm sofort anzumerken, dass er dabei nichts Böses im Sinn haben kann. Seine Strategie bewährt sich immer wieder aufs Neue. Routiniert befestigt er an Haustüren luxuriöser Villen bunte Werbeflyer. Bleiben diese tagelang unberührt hängen, so ist dies ein sicherer Indiz für ihn, dass die Eigentümer verreist sind und er ungestört in das fremde Anwesen eindringen und sich dort einnisten kann. Jedes Mal fühlt er sich wie zu Hause: er kocht, duscht, schläft und erledigt mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit kleine Reparaturen und liegen gebliebene Hausarbeiten. Nach einigen Tagen verlässt er unauffällig die fremden Räumlichkeiten, so als wäre er nie dort gewesen.
Sein Eremiten-Dasein nimmt ein Ende, als er wieder einmal in ein verlassenes Haus einsteigt und dort der wunderschönen Sun-hwa (Lee Seung-yeon) begegnet. Die bizarre Ausgangssituation ist der Beginn einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte, die fast ausschließlich mit schweigsamen Gesten, zurückhaltenden Blicken und überlegten Bewegungen auskommt. Gemeinsam suchen sie leer stehende Wohnungen auf, solange bis die Polizei ihrem regellosen Leben vorläufig ein Ende bereitet.

Die Idee zu BIN-JIP (zu deutsch: \"Leere Häuser\") kam Regisseur Kim Ki-duk, als ihm beim Entfernen eines Flyers über dem Schlüsselloch seiner Tür klar wurde, dass die Häuser, bei denen diese Werbung seit Tagen unberührt hängen blieb, leer stehen mussten. Die Vorstellung einer leeren Villa brachte ihn auf die Idee von einem Menschen zu erzählen, der in die diese Leere eindringt und sie mit Wärme zu füllen vermag. Bewusst lässt der koreanische Filmemacher die Menschen in seinen Filmen wenig oder gar nicht sprechen. Denn sie tragen eine tiefe Verwundung in sich und haben das Vertrauen in ihre Mitmenschen aufgrund von schmerzhaften Enttäuschungen verloren. Der stumme Zuhälter aus seinem früheren Film Bad Guy oder die schweigende Protagonistin aus Die Insel zählen zu den Figuren, die von Narben und Wunden gezeichnet sind und sich einer ganz eigenen Körpersprache bedienen.

Kim Ki-duk gilt als Regisseur grausamer, kaltblütiger Filme, die man meiden sollte wenn man einfach angenehme Zerstreuung am Abend sucht. Doch werden wir, wie bereits schon in Frühling, Sommer, Herbst, Winter...und Frühling, auch in BIN-JIP mit dieser barbarischen Herzlosigkeit verschont. Der Film beobachtet ganz genau, wie zwei vollkommen fremde Menschen gütig und innig miteinander umgehen. In ihren gemeinsamen Stunden spüren sie Wärme und Glück so intensiv wie scheinbar noch nie zuvor.

Kim Ki-duk gehört zu den wichtigsten koreanischen Regisseuren. Der Autodidakt bezeichnet sich selbst als „Nicht-Mainstream“, der sich mit seinem hohen ästhetischen Niveau und seiner Ideologie von anderen differenzieren will. Wie sein Kollege Park Chan-wook (Old Boy) leistet auch Kim Ki-duk einen maßgeblichen Beitrag zum internationalen Erfolg des koreanischen Kinos. Ihre Arthouse-Produktionen reüssieren sowohl auf ausländischen Festivals als auch an einheimischen Kinokassen. Sie werden der dritten Welle des aufstrebenden asiatischen Kinos zugerechnet. In den 1950er und 1960er Jahren spielte das Japanische Kino eine führende Rolle im Asiatischen Kino. Es wurde abgelöst vom Chinesischen Kino, das mit Regisseuren wie Chen Kaige und Zhang Yimou in den 1980er und 1990er Jahren seine Blütezeit hatte. Nun ist es Korea, das die Rolle als Vorreiter einer neuen Ära des asiatischen Kinos übernommen hat.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/bin-jip