Jesus, du weißt

Gespräche mit Gott

Wenn sich ein ausgewiesener Sarkast und Spötter wie der österreichische Regisseur Ulrich Seidl einem Thema wie der Frömmigkeit seiner Landsleute widmet, dann ist einiges zu erwarten. Denn bereits sein äußerst erfolgreiches Spielfilmdebüt Hundstage (2001), das den großen Preis der Jury beim Filmfestival von Venedig gewann, sorgte mit seinem schonungslosen und provokativen Blick auf den alltäglichen Wahnsinn in der Alpenrepublik zwischen Schrebergartenromantik und sexueller Perversion für Aufsehen. Schon bei diesem Film war allerdings deutlich spürbar, dass es dem Regisseur nicht allein um die Geschichten ging, sondern vor allem um die Authentizität der Geschichten, weshalb Hundstage als Prototyp des „dokumentarischen Spielfilms“ gilt.

Wer nun allerdings die gleiche Schärfe und Bissigkeit in Seidls neuem Film erwartet, der mag vielleicht enttäuscht sein, doch Seidl läuft in Jesus, du weißt nicht in die (denkbar einfache und naheliegende) Falle, die Praktiken der Gläubigen zu diskreditieren oder anzuprangern, was angesichts des Mutes der Dargestellten, ihre Gebete und Beichten direkt in die Kamera zu sprechen, auch einem Verrat gleichkäme. Stattdessen konzentriert sich Seidl auf sechs Personen, lässt sie sprechen, kommentiert nicht, sondern vertraut auf ihre Offenheit, ihre Ehrlichkeit und ihre Frömmigkeit. So wird die Kamera zum Stellvertreter Gottes und entwickelt ein (gleichwohl statisches, beinahe tableauartiges) Eigenleben, während sich der Regisseur darauf beschränkt, zu sammeln und wählen und zu komponieren. Auf diese Weise entsteht ein Konstrukt von höchster Intimität und größtmöglicher Distanz.

Immer wieder nimmt die Kamera die Position des Angebeteten ein, schaut quasi mit den Augen Jesu auf die Gläubigen hinunter, vernimmt ungerührt die manchmal bizarr anmutenden Zwiegespräche und gibt so ein beredtes Zeugnis der Bedeutung des Glaubens in unserer heutigen Zeit, wie es zehn Mel-Gibson-Inszenierungen des Martyriums Christi nicht vermögen. Ein in dem Mut der Dokumentierten, in der Beschränkung seiner Mittel und der wohltuenden Zurückhaltung seines Regisseurs wohl einmaliger Film, der manchmal amüsiert, oft verblüfft und der die Augen und Ohren dafür öffnet, was die Menschen bewegt, was sie umtreibt und was ihnen Halt gibt. Und nicht zuletzt ist der Film ein Porträt über Jesus selbst, seine Bedeutung für die Menschen und seine vielfältigen Rollen und Funktionen, sein stummes Wirken und die Hoffnungen, die an ihn geknüpft werden.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/jesus-du-weisst