Das Kind

Unter die Haut

Eine Filmkritik von Gesine Grassel

Eine namenlose Stadt irgendwo in Frankreich, ein mittelloses Paar. Der 20-jährige Bruno (Jérémie Renier) hält sich mit kleinen Gaunereien mehr schlecht als recht über Wasser. Er arbeitet professionell mit einer Kinderbande und pendelt regelmäßig zwischen arm und reich. Für ihn ist Arbeiten etwas für Verlierer. Bruno, immer auf der Suche nach dem nächsten, geldbringendem Geschäft, hat keine Perspektive und keinen Sinn für Verantwortung. Umso mehr wird er gefordert, als eines Tages seine Freundin Sonia (Déborah François) vor der Tür steht und mit ihm ein neues Leben beginnen möchte. Sie ist frisch aus der Haft entlassen und konfrontiert Bruno mit Jimmy, dem neugeborenen Sohn der beiden. Bruno fühlt sich nicht reif genug um Vater zu sein. Er versucht sein Bestes und kurze Zeit geht alles gut, doch dann holt das alte Leben das junge Paar wieder ein. Bruno hat Schulden und braucht dringend Geld. Kurzentschlossen verkauft er Jimmy und kassiert 5000 Euro von einer Drückerbande. Als Sonia von dem Geschäft erfährt, bricht sie zusammen. Erst jetzt wird Bruno bewusst, was er getan und mit seiner Entscheidung ausgelöst hat. Er macht sich auf den Weg um Jimmy zurückzuholen. Dieser Entschluss bleibt nicht ohne Folgen.
Mit ihrem Film Das Kind / L'enfant stellen die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne erneut ihre Genialität zur Schau. Der Film, überwiegend mit kleinen Handkameras gedreht, überzeugt durch Authentizität und dokumentarischen Charakter. Die junge Familie ist mit ihrem Leben überfordert, gleichzeitig lebendig und so schwingt die Liebe latent mit. Der Film wirkt echt und wendet sich ab von der farbenfrohen und oberflächlichen Zeichnung der Charaktere in vielen zeitgenössischen Streifen. In Das Kind / L'enfant zeigen die Schauspieler, was sie denken. In langen Einstellungen sieht man die Gehirnzellen arbeiten und nimmt teil an der Verzweiflung, die von ganz unten ins Bewusstsein kriecht. Die Regisseure scheuen nicht davor zurück, die Charaktere an das Publikum auszuliefern.

Das Kind / L’enfant ist ein wirklichkeitsnahes und packendes Drama, das Menschen am Rande der Gesellschaft zeigt, ohne sie zu verurteilen. Im Mai gewann der Film die Goldene Palme von Cannes. Ein für viele Beobachter überraschender, aber keinesfalls unverdienter Gewinn, denn der Film geht unter die Haut und lässt kaum einen Zuschauer kalt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/das-kind