Shutka – Stadt der Roma

Der Balkan bebt

Die wilde und vibrierende Welt des Balkans kennt der Programmkino-Besucher wohl hauptsächlich durch Emir Kusturicas vor Leben strotzende Parabeln wie Underground, Schwarze Katze, weißer Kater oder unlängst Das Leben ist ein Wunder. Shutka – Stadt der Roma erinnert in vielem an die Filme des wohl bekanntesten serbischen Filmemachers, was bei einem genaueren Blick auf den Regisseur der Dokumentation kaum verwundert. Denn Aleksandar Manič studierte ebenso wie Kusturica an der Prager Filmhochschule FAMU und er war Regie-Assistent bei Underground. Außerdem fungiert Dr. Koljo alias Bajram Severdzan, der Hauptdarsteller aus Schwarze Katze, weißer Kater in dieser sehenswerten Dokumentation als fiktiver Stadtführer durch Shuto Orizari, genannt Shutka.

Diese mazedonische Stadt, rund eine Viertelstunde von Skopje entfernt, gilt als die inoffizielle Hauptstadt der Roma, denn rund 93 Prozent der Bewohner gehören dieser Volksgruppe an. Auf den ersten Blick wirkt Shutka wohlhabend, die schmucken Häuschen mit den gepflegten Vorgärten und die vielen PKWs mit dem Stern am Kühler wecken Assoziationen zur schwäbischen Metropole, weswegen Shutka auch Stuttgart genannt wird. Doch der erste Anschein trügt, wie so oft. In den Randbezirken Shutkas beherrschen ärmliche Hütten das Bild der Stadt, primitive Bauten, die oft ganze Familienclans beherbergen. Nur wenige der Bewohner verfügen über einen festen Arbeitsplatz und damit über ein geregeltes Einkommen, die Kunst der Improvisation ist hier gefragt. Und in Shutka hat beinahe jeder ein skurriles Hobby, um sich die Zeit zu vertreiben - seien es Vampirjagden, Gesangswettbewerbe, Türkische-Musikkassetten-sammeln-Meisterschaften oder Wer-hat-die-schönste-Sonntagsgardrobe-Ausscheidungskämpfe. Auch die Derwische, Vampirjäger und Tito-Nostalgiker sowie der selbst ernannte Friedhofswärter, der sich ungerührt an den Grabbeigaben bedient, das alles sind (echte) Figuren, wie Kusturica sie selbst kaum hätte besser erfinden können, was wieder einmal beweist, dass die Filme des gebürtigen Bosniers weitaus näher am Leben dran sind, als man dies glauben mag.

Dabei schwankt Shutka – Stadt der Roma dank der wundervollen Menschen, denen man auf dieser abenteuerlichen Reise begegnet, ständig zwischen ernsthafter Dokumentation und vergnüglichem Spiel, denn hier ist jeder ein (Selbst)Darsteller, um die Mühsal des eigenen Daseins zu vergessen und schlichtweg das Beste daraus zu machen. Die Not wird keineswegs ausgeklammert in Aleksandar Maničs atemberaubendem Film, der vor Lebensfreude geradezu zu bersten scheint, doch es überwiegt genau jener Blick auf das Außergewöhnlich-Skurrile, der bereits Kusturicas Werke auszeichnet. Möglicherweise sieht man nach diesem Film das allgemeine Jammern und Klagen in Deutschland mit etwas anderen Augen. Ein prallbuntes, poetisches und absolut verrücktes Bild einer Stadt, die in all ihren Gegensätzen ungemein faszinierend wirkt. Ob man allerdings in Shutka leben möchte, sei dahingestellt. Gesehen haben sollte man es aber.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/shutka-stadt-der-roma