Accatone: Wer nie sein Brot mit Tränen aß

Donnerstag, 10. November 2005, 3sat, 22:25 Uhr

Der junge Vittorio (Franco Citti) wird von allen nur "Accattone" genannt, was soviel wie "Bettler" oder "Schmarotzer" bedeutet. In den heruntergekommenen Vororten Roms aufgewachsen, hat Accatone noch nie richtig gearbeitet. Er gehört zum Lumpenproletariat der italienischen Hauptstadt. Getrennt von seiner Frau und seinem Kind lebt er mit der Hure Maddalena (Silvana Corsini) zusammen, die für ihn anschaffen geht und so für den Lebensunterhalt der beiden sorgt. Doch als Maddalena nach einer Auseinandersetzung mit einer neapolitanischen Bande ins Gefängnis kommt, ist der sonst so coole und raubeinige Accatone vollkommen hilflos, seine Ex-Frau lehnt es rundweg ab, dem Taugenichts zu helfen, so dass dieser schließlich sein eigenes Kind bestiehlt. Schließlich lernt er die junge und unschuldige Stella (Franca Pasut) kennen, der zuliebe Accatone bereit ist, sein Leben zu verändern, doch das ist gar nicht so einfach...

Formal in manchen Aspekten noch den Prinzipien des Neorealismo verpflichtet (zu sehen etwa in der Bevorzugung von Laiendarstellern und dem Drehen an Originalschauplätzen), bedeutet Accatone gleichzeitig auch eine radikale Abkehr vom beherrschenden Filmstil Nachkriegsitaliens. Es ist vor allem die Musik, die hier eine gänzliche neue Perspektive auf das Subproletariat der tristen Vorstädte imaginiert. Denn der Score, der gänzlich aus Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion stammt, überhöht den Kampf Accatones ins Religiöse und Erhabene, eine moderne Passionsgeschichte, die die Anprangerung sozialer Fehlentwicklungen mit einer Neuinterpretation der Leidensgeschichte Christi verknüpft. Drei Jahre später sollte ausgerechnet der tiefreligiöse Marxist Pasolini noch einen Schritt weiter gehen und mit seiner Filmversion des Matthäus-Evangeliums die beste und dem Ursprungstext nahestehendste Bibelverfilmung auf die Leinwand bringen. In der Person Pasolinis und in seinem Werk sind die scheinbar unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Christentum und Marxismus, zwischen Klassenkampf und Rosenkranz aufgehoben und werden so zum Prototyp einer frühen Form der Befreiungstheologie – italienisches Kino in seiner besten und reinsten Form.

Anlässlich des 30. Todestages des großen italienischen Regisseurs zeigt 3sat eine ganze Reihe von Filmen von und über Pier Paolo Pasolini.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/accatone-wer-nie-sein-brot-mit-tranen-ass-tv-tipp-der-woche