Urlaub vom Leben

Gelungene Talentprobe

Eine Filmkritik von Gesine Grassel

Junge Talente wollen mit Vorsicht behandelt werden. Zuviel Lob und Euphorie für den Debütfilm und der Erwartungsdruck steigt ins Unermessliche. Nicht selten verschwinden Nachwuchsregisseure und Filmemacher schneller von der Bildfläche als der Abspann ihres Wunderwerkes lang ist. Aber - so ist das mit den Regeln – es gibt Ausnahmen. Eine dieser Ausnahmen gilt der erst 28-jährigen Neele Leana Vollmar, die mit ihrem ersten Langfilm Urlaub vom Leben ihr Regiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg abschließt. Ein Film, der wie ein zartes Pflänzchen behandelt werden muss. Zerbrechlich, aber voller Optimismus und Freude am Leben. Zumindest auf den zweiten Blick.
Auf den ersten Blick erzählt der Film die Geschichte eines normalen, bedeutungslosen Lebens. Gustav Peter Wöhler spielt durchweg überzeugend Rolf Köster, einen dicklichen, zweifachen Familienvater um die 50. Sein Leben ist eingespielt und geprägt von Routine. Köster ist Kassierer in der städtischen Sparkasse und wird von seinem eigenen Leben aufgefressen. Der Sohn ist ein Fall für die Sonderschule, die Tochter beginnt zu pubertieren, seine Frau hat eine Affäre. Als er mit körperlichen Beschwerden zum Arzt kommt, hält dieser ihm seinen psychischen Konflikt vor Augen. Köster braucht nicht viel zum Zufriedensein, wie er sagt. Genau an dieser Einstellung droht seine Existenz zu zerbrechen. Er bekommt eine Woche Urlaub verordnet, um sich und sein eingefahrenes Leben zu ordnen und wieder Lust am Leben zu entwickeln. Aber er steckt zu tief in seinem Doppelleben aus Realität und einer unbestimmten Sehnsucht, die er weder zu erklären noch zu leben weiß. Während er seiner Familie den Urlaub verschweigt, lernt er die Taxifahrerin Sophie (Meret Becker) kennen. Für wenige Stunden entflieht Köster seiner Welt. Die beiden lachen und leiden zusammen, bevor sich ihre Wege wieder trennen. Die wenigen Momente beflügeln ihn aber so sehr, dass er beginnt sein Leben und sich selbst zu hinterfragen.

Urlaub vom Leben ist einer der seltenen Filme, die Tragik und Komik gekonnt vereinen. Die Geschichte und Darstellung durch ein hochkarätiges Ensemble deutscher Charakterdarsteller schaffen eine Atmosphäre, die selten und wertvoll ist. Man wird den Film nicht los. Die Geschichte des deprimierten Wöhlers hallt nach. Und das lange. Die geheime Woche Urlaub Köhlers ist Roadmovie und Seelenstriptease zugleich. Eine Alltagsgeschichte, wie sie überall ablaufen könnte. Neele Leana Vollmar erzählt und inszeniert mit gehörigem Respekt vor dem Thema, mit einer anrührenden Vorsicht. Als könne sie den Figuren ihres Films mit zuviel Eindeutigkeit und Schärfe weh tun. Der Film ist ein Appell für die Freiheit, für die Liebe zum Leben und sich selbst. Alles passt an der Geschichte und seinen Darstellern, besonders die Ruhe, die sich nach einer anfänglichen Irritation wie von selbst erklärt. Die Regisseurin beschreibt ihr Werk als Experiment. Ein Mensch, dessen Routine immer Schutz darstellte, muss auf einmal völlig neu zu denken lernen. Mit kleinsten Änderungen verändern sich Horizonte. Durch andere Blickwinkel muss er seinem Leben gegenüber treten.

Urlaub vom Leben lief als Eröffnungsfilm der 39. Hofer Filmtage und wurde für den First Steps Award nominiert. Ohne Übertreibung ist die Regisseurin eine der großen Nachwuchshoffnungen des deutschen Films. Daher ist zu hoffen, dass sie von den Lobeshymnen nicht erschlagen wird. Gerechtfertigt sind sie ohne jeden Zweifel.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/urlaub-vom-leben