Rolltreppe abwärts

Ungewöhnliches Update einer Jugendbuch-Klassikers

Rolltreppe abwärts, das Jugendbuch von Hans-Georg Noack, erschienen im Jahr 1974, zählt zu den Klassikern, die heute noch in mehreren Tausend Schulklassen jährlich gelesen werden. Mittlerweile befindet sich das Werk in der 13. Auflage, und trotz seiner deutlichen Verankerung im Geist der Siebziger Jahre gelingt es der Geschichte immer noch, nach mehr als 30 Jahren, die Kids von heute zu fesseln und zu begeistern. Eigentlich ein Wunder, dass der Film bis zum heutigen Tage nicht verfilmt wurde, doch der Autor hatte bislang jede Adaption für die Leinwand kategorisch abgelehnt. Dann allerdings trat eine Gruppe von Schülern aus Bonn, die sich in einer Theatergruppe kennen gelernt hatten, an ihn heran. Noack war so begeistert vom Enthusiasmus der Schüler, dass er das Projekt fortan nach Kräften unterstützte. Auf diese Weise entstand wohl eines der ungewöhnlichsten Filmprojekte dieses Jahres. Denn der Regisseur Dustin Loose ist gerade mal 19 Jahre alt, sein Produzent Christopher Zwickler lediglich 2 Jahre älter.

Jochen (Timo Rüggeberg) ist 13 Jahre alt und hat kaum Freunde. Seine Mutter (Diana-Maria Breuer) ist berufstätig, weshalb der Junge meist allein ist. Außerdem ist da noch der neue Lebensgefährte seiner Mutter (Guido Renner), mit dem sich Jochen nicht versteht. Eigentlich sehnt er sich nach Aufmerksamkeit und Geborgenheit, doch seine familiäre Situation ist eher zum Davonlaufen. Aus Langeweile beginnt Jochen zu klauen. Schnell gesellt sich sein Mitschüler Alex (Justus Kötting) zu ihm, und die beiden Jungs gehen gemeinsam auf eine Diebestour durch die Kaufhäuser. Mit der Zeit und unter dem Einfluss von Alex wird Jochen immer wagemutiger, bis er eines Tages beim Diebstahl eines MP3-Players erwischt wird. Nun hängt der Haussegen endgültig schief, zumal Jochen wenige Tage später auch noch Alex mit einer Flasche niederschlägt, als dieser sich über ihn lustig macht.

Hilflos und unter dem Druck ihres Lebensgefährten stimmt Jochens Mutter schließlich einer Unterbringung ihres Sohnes in einem Fürsorgeheim zu. Hier herrscht der Erzieher Herr Hamel (Jürgen Haug) mit strenger Hand und behandelt die ihm anvertrauten Schützlinge wie Hunde. Einzig zu der Krankenschwester Maria (Giselheid Hönsch) fasst Jochen Vertrauen, doch als der Junge aus Übermut ein Hundebaby entführt, zerstört er auch noch den letzten Halt, den er in der angespannten Situation hat. Die Rolltreppen, auf denen Jochen so gerne fuhr, führen alle unweigerlich nach unten, Jochen beschließt auszubrechen...

Natürlich ist Rolltreppe abwärts kein technisch perfekter Film, und auch das Spiel der Laien, die von einigen professionellen Schauspielern unterstützt werden, ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Dann aber entwickelt der Film einen Sog, der bis zum Schluss für Spannung und eine starkes Gefühl der Empathie sorgt. Bewundernswert ist dabei vor allem, wie gut es den Machern gelingt, die vielen Facetten der unterschiedlichen Charaktere herauszuarbeiten. Mitunter verfällt Dustin Loose in allzu übermütige Spielereien und unterbricht so jäh den sonst sehr stringenten Handlungsverlauf, doch das kann den überaus professionellen und lebensnahen Eindruck, den der Film vermittelt, nicht schmälern. Man spürt förmlich, dass die Macher vor und hinter der Kamera genau wissen und nachvollziehen können, was den Protagonisten in seiner konkreten Lebenssituation bewegt und was ihn umtreibt. Ein äußerst empfehlenswerter Film für Jugendliche und vielleicht ein erster Schritt hin zu der Erkenntnis, dass eine Integration des Mediums Film in den Lehrplan – im Verbund mit Unterricht in anderen Medien – längst überfällig ist. Denn das Beispiel von Rolltreppe abwärts macht Mut, dass durch eine solche Maßnahme auch praktische Projekte besser gefördert werden könnten.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/rolltreppe-abwarts