24/7 - The Passion of Life

Das Kreuz mit der Sexualität

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Es gibt Filme, die lassen den Rezensenten recht ratlos zurück. Nicht etwa, weil sie sich - wie im vorliegenden Fall – mit einem Tabuthema wie SM beschäftigen, das sich mittlerweile in etlichen Hervorbringungen des Privatfernsehens und auf der Kinoleinwand wiederfindet. Bei 24/7 - The Passion of Life ist es vor allem die Art der Umsetzung, die ein reichlich disparates Bild abgibt.
Die Hotelierstochter Eva (Marina Anna Eich) ist wohlbehütet aufgewachsen, doch als sie eines Tages bei einer Panne die Motorradfahrerin Magdalena (Mira Gittner) kennenlernt, verändert sich ihr Leben rapide. Denn Magdalena führt ein Doppelleben als Domina Lady Maria in einem eigenen SM-Studio, und als Eva ihr einen vergessenen Rucksack zurückbringt, verfällt die Tochter aus gutem Haus der Faszination des Bizarren. Unter Anleitung von Lady Maria macht sich Eva auf den Weg durch Swingerclubs und Stripbars, um sich auszuprobieren und ihren eigenen (sexuellen) Weg zu finden. Sie trifft auf Mike (Michael Burkhardt), der sich ihr als "Reiseleiter durch die Lust" zur Verfügung stellt. Doch die Trennung von Sex und Liebe ist gar nicht so einfach und Mike verliebt sich in Eva. Das ist nicht die einzige Komplikation: Evas Vater (Zoltan Paul) reagiert mit vollkommenem Unverständnis auf die "Eskapaden" seiner Tochter, es kommt zum endgültigen Zerwürfnis. Einzig Magdalena / Lady Maria und Mike begleiten Evas Weg, der schließlich in die Befreiung und Loslösung von gesellschaftlichen Normen führt und in einer "Wiedergeburt" endet.

Wer sich von 24/7 - The Passion of Life einen mehr oder minder pornographisch angehauchten Film erwartet, der kann sich getrost das Eintrittsgeld sparen, denn es geht hier vor allem um das Zwischenmenschliche, um die Gefühle und Lebenseinstellungen der Suchenden, die zwischen normalem Leben, Swinger-Club und SM-Studio unterwegs sind. Sie sind "Wanderer", wie der Film es an einer Stelle explizit benennt, Suchende, Verzweifelte, kurzum: Menschen wie du und ich. Das ist mit Sicherheit das große Verdienst des Films, SM und andere Sexualpraktiken aus der Schmuddelecke herauszuholen.

Was darüber hinaus auffällt und den größten Teil des Filmes beherrscht, ist die überdeutliche Verbindung zwischen Sexualität und Religion, die nun nichts wirklich Neues ist und die auf nahezu jeder Ebene des Films ständig wiederholt wird - angefangen bei der Musikauswahl, die vor allem religiös inspirierte Musik wie Mozarts Requiem oder Bachs sakrale Werke beinhaltet, über die Namen der Akteurinnen (Eva, Magdalena, Lady Maria) bis hin zu Dominik (Christoph Baumann), der bei den SM-Sessions die Leiden Christi nachempfinden will. Die Botschaft der Verknüpfung, dass sowohl Religion wie auch Sexualität Wege zur Überwindung der gesellschaftlichen Normierung sein können, ist klar und richtig analysiert, ebenso wie die Vielzahl sich überschneidender Motive wie Schuld, Sühne, Strafe, Vergebung und Erlösung. Andererseits ist es offensichtlich, dass hier vor allem die rigide Sexualmoral der (katholischen) Kirche attackiert werden soll. Gelegentlich versucht sich der Film in blasphemischen Inszenierungen (so etwa, als Lady Maria den Kreuzweg Dominiks in einem "Maria-Mobil" verfolgt oder in der Anbetungsszene der Lady Maria durch ihre Sklaven), die satirisch überhöht vor allem einem Zweck dienen - der obsessiven Herabwürdigung der Kirche. Man wird das Gefühl nicht los, dass es hier weniger um eine Auseinandersetzung mit SM, sondern vor allem um eine filmische Form der Religionskritik geht. Diese mag meinetwegen berechtigt sein (ob sie wirklich zeitgemäß ist und den gesellschaftlichen Realitäten außerhalb der tiefsten bayerischen Provinz entspricht, sei dahin gestellt), sie läuft aber insofern ins Leere, als dass sie in ihrer Darstellung der SM-Praktiken die gleichen ästhetischen Symbole und Rituale verwendet, die zuvor angeprangert werden. Fast erweckt es den Eindruck, als solle hier eine Form der Spiritualität durch eine andere abgelöst werden - der Volksmund kennt hierfür den Ausdruck "den Teufel mit dem Beelzebub austreiben".

Die Fokussierung auf die religiösen und antireligiösen Motive allerdings überdeckt jene Aspekte, die viel spannender gewesen wären und die sich lediglich angedeutet und am Rande wiederfinden: Die existenzielle Orientierungslosigkeit vieler Menschen, der gesellschaftliche Druck (der allein durch den erschreckend tumben Vater ausgedrückt wird), die Angst vor einem unfreiwilligen Coming Out und die Allgegenwärtigkeit der Sexualität, die dafür gesorgt hat, dass der modernde Mensch zwar gnadenlos oversexed, aber eben auch hoffungslos underfucked ist. Das ist das wahre Kreuz mit der Sexualität.

Rein formal gesehen krankt der Film in fast jedem Bereich, was vielleicht auch daran liegen mag, dass 24/7 - The Passion of Life nahezu ohne Budget und ohne Unterstützung durch Filmförderanstalten gedreht wurde: Abgesehen von einigen visuell eindrucksvollen Sequenzen wirkt die Bildästhetik ziemlich trashig und weist eine Vielzahl grober Fehler auf, angefangen von Einstellungsgrößen über Schnittfolgen bis hin zu ins Bild ruckelnden Köpfen bei den Schuss/Gegenschuss-Aufnahmen der Dialogszenen. In etlichen Szenen hat man den Eindruck, eher einer drittklassigen Daily Soap beizuwohnen als einem ambitionierten Kunstfilm. Selten nur, dann allerdings eindrucksvoll, gelingen Passagen, bei denen der Film in dem Maße Tiefe und Schönheit entwickelt, wie er es beabsichtigt. Ironischerweise sind das genau jene Sequenzen, wenn der Regisseur sich der Bildsprache der angeprangerten Kirche bedient. Unterstützt wird der durchwachsene Eindruck von einer meist unerträglich seichten Musikuntermalung, die nur vom schwülstigen Pathos der sakral konnotierten klassischen Musikstücke unterbrochen wird. Der Fluch der zweifellos guten Absicht und das Damoklesschwert der Bedeutungsschwere schwebt bedrohlich in jeder Szene über den Köpfen der Charaktere. Auch die Dialoge sind nicht gerade leichte Kost, stellenweise erinnern sie an Soziologie-Proseminare und sind nur selten wirklich authentisch, sondern meist pathetisch, altklug und geschwätzig. Dies ist umso schlimmer, da nur wenige der Darsteller die Texte überzeugend rüberbringen können, ohne dass das Ganze aufgesetzt, belehrend oder einfach nur auswendig gelernt oder abgelesen wirkt. Die gewünschte Authentizität der Charaktere durch die teilweise Arbeit mit Laiendarstellern verfehlt ihr Ziel fast vollständig und wirkt bei Zeiten beinahe unfreiwillig komisch. Obwohl der Film sich Lebensnähe auf die Fahnen geschrieben hat, bleibt kaum ein Klischee außen vor, wenn etwa in einem Swingerclub Eva von etlichen Schnauzbärten angegeifert wird, die wie Vögelchen auf der Stange brav nebeneinander sitzen. Und klar, dass Dominik aussieht wie ein soeben dem Kloster entsprungener Novize.

Ohne Zweifel enthält 24/7 - The Passion of Life einige bemerkenswerte Ansätze, die zum Nachdenken anregen. Und darüber hinaus ist er einer der wenigen Spielfilme, der SM als Phänomen ernst nimmt und versucht, es so zu zeigen, wie es wirklich ist. Fraglos ein Film, der polarisiert. Überzeugen aber kann er nicht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/247-the-passion-of-life