Brokeback Mountain (2005)

Die Strategie der Heterosexualität

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Ang Lee ist ein Virtuose des Kinos. Er beherrscht es mit einer Perfektion, die selten in der Einöde und Oberflächlichkeit des amerikanischen Kinos zu finden ist. Er lässt uns aufatmen. Ang Lees Filme sind eine große Ausnahme, so wie er der eigentümliche Außenseiter Hollywoods ist. Nicht das Sujet sei das Wichtigste an einem Film, sagte Truffaut, sondern die Art und Weise in der es behandelt wird. Bei Ang Lee ist beides wichtig und stimmig. Filmstoffe, die nicht angsteinflößend oder sensibel genug sind, interessieren ihn erst gar nicht. Hat er das richtige Material in den Händen, dann scheint er genau zu wissen, was er damit will. Dann überträgt seine Leidenschaft für die Geschichte auf ihre Charaktere. Dann fügt sich jedes noch so kleine Detail makellos in das große Ganze ein.

Ang Lees neuem Film Brokeback Mountain liegt die gleichnamige Kurzgeschichte von Annie Proulx zugrunde, die ihn so stark berührt hat, dass sie ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Sie erschien erstmalig 1997 in der Zeitschrift New Yorker und wurde daraufhin vom Autorenduo Dianna Ossana und Larry McMurty zum Drehbuch adaptiert. Dann schlummerte es jahrelang unangetastet als eines der großen unverfilmten Drehbücher Hollywoods vor sich hin. Es bedurfte eines großen Regisseurs wie Lee, aus dieser kurzen, aufwühlenden Liebesgeschichte einen eindringlichen, epischen Liebesfilm zu schaffen. Er hat ein Meisterwerk daraus gezaubert, so perfekt und abgeschlossen - kein Wunder, dass er dafür eine Trophäe nach der anderen gewinnt und mit gleich acht Nominierungen zur Oscar-Verleihung ins Rennen geht.

Brokeback Mountain – das ist der Ausgangsort der Liebe zweier Männer. Brokeback Mountain – das ist tiefstes Wyoming im Jahre 1963. Dort treffen sich der Rancher Ennis del Mar (Heath Ledger) und der Rodeoreiter Jack Twist (Jake Gyllenhaal) zum ersten Mal. Sie werden angeheuert, um einen Sommer lang eine Herde Schafe vor Wilderen und Raubtieren zu schützen. Sie sind zwei arme Jungs vom Land. Sie stammen aus ähnlichen Verhältnissen, geplagt von ewigen Geldnöten und geprägt vom unerbittlichen Kampf, irgendwie durchzukommen. Der Film lässt sich Zeit, aber es braucht nicht lange, bis wir die ungewöhnliche Anziehungskraft zwischen den beiden Männern am Fuße des Brokeback Mountains spüren. Ennis, wortkarg und verschlossen, Jack, genau das Gegenteil: aufgeschlossen und redselig. Sie reden zunächst nicht viel, brauchen sie auch nicht, denn sie verstehen sich auch ohne viel Worte. Je länger sie in den abgelegenen Bergen sind, desto stärker öffnen sie sich, erzählen aus ihren Leben abends bei Whiskey am Lagerfeuer. Sie werden Kameraden, freundschaftlich unbefangen gehen sie miteinander um. Dann folgt die Nacht im Zelt, in der sie sich näher kommen – die wohl bizarrste Szene des ganzen Films. So dunkel und verschüchtert inszeniert, dass die bevor stehende Tragödie eigentlich schon genau in diesen beklemmenden Minuten begonnen hat.

In vielen Kritiken wird Brokeback Mountain als schwuler Cowboy-Western bezeichnet. Wie ein willkürlich aufgeklebtes Etikett haftet dieser Begriff seit einiger Zeit an einem Werk, das im Grunde etwas anderes sein soll. Denn Ang Lee hat diese Charakterisierung expliziert ablehnt und versteht seinen Film als eine große amerikanische Liebesgeschichte. Der Film habe wenig zu tun mit dem Western-Genre, sagte er in einem Interview mit der LA Times. Brokeback Mountain handelt von der großen unerfüllten Liebe zwischen Ennis und Jack. In der Abgeschiedenheit von Brokeback Mountain leben sie ihre wahren Gefühle aus, zurück in der Zivilisation werden sie mit Traditionen und Wertevorstellungen konfrontiert, die sie dazu zwingen, ihre Liebe für sich zu behalten. Das schmerzt. Wird ein sehnsüchtiges Verlangen unterdrückt, wächst es umso mehr. Doch sie haben keine Alternative. Sie sind soziale Wesen, müssen sich anpassen, Erwartungen erfüllen, den für sie abgesteckten Weg gehen. Sie leben mit der Lüge, heiraten, gründen Familien – die Strategie der Heterosexualität ist ihre einzige Wahl und daran gehen sie kaputt. „Alles was wir haben, ist Brokeback Mountain“, sagt Jack an einer Stelle. Dort beginnt ihre Liebe, aber sie kehren nie wieder dorthin zurück. Und an einer anderen Stelle sagt Ennis „ Wenn du es nicht ändern kannst, musst du es aushalten.“ Sie konnten es nicht ändern, aber sie haben es auch nicht ausgehalten.

Vor sechs Jahren hat der taiwanesische Regisseur Ang Lee den schönsten aller modernen Martial-Arts-Filme gedreht: Crouching Tiger, Hidden Dragon. Die bewegende Geschichte von der uneingestandenen Liebe zwischen dem Schwertkünstler Li Mu Bai und seiner Vertrauten Yu Shu Lien hat uns damals mitten ins Herz getroffen. So euphorisch wie die Liebenden mit ihren Schwertern kämpften, so unerbittlich rangen sie gegen ihre Gefühle füreinander. Kauernder Tiger, versteckter Drachen, das ist die vorgespielte Zurückhaltung, das heißt Gesicht wahren und das ist das drohende Aufbegehren gegen den heran nahenden Ausbruch. Dieses quälende Spannungsfeld hat Lee vom chinesischen Osten in den amerikanischen Westen verlegt: von der bildgewaltigen, exotischen Kulisse des Fernen Ostens in die einsamen, rauen Landschaften Wyomings. Auch wenn Brokeback Mountain keine Fortsetzung von Crouching Tiger, Hidden Dragon ist, vermag er jedoch mit eben der gleichen Wucht, die Gefühle in uns auslösen, die wir damals verspürt haben. Tragik so schön zu zeigen, das kann wahrscheinlich nur Ang Lee, der große Virtuose des Kinos.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/brokeback-mountain-2005