Fratricide

Die Schattenseiten der Migration

Die Verleihlandschaft in Deutschland ist manchmal schon eine seltsame Branche: Da gewinnt ein deutscher Film den Silbernen Leoparden beim renommierten Festival von Locarno, die Presse jubelt kurz und anschließend gerät der Film in Vergessenheit. So geschehen mit Yilmaz Arslans düsterem und bewegenden Drama Fratricide / Brudermord, das nun endlich im Eigenverleih des Regisseurs in die Kinos kommen wird. Bereits für seinen Debütfilm Der lange Gang (1992) wurde Yilmaz Arslan beim Filmfest San Sebastián mit dem Preis für das beste Erstlingswerk ausgezeichnet. Und auch sein nächster Film Yara (1998) erhielt auf diversen Festivals Auszeichnungen. Nun kommt sein Film mit fünf Kopien im Eigenverleih des Regisseurs auf die Leinwand, während er in Frankreich im April mit 30 Kopien startet, was ein bezeichnendes Licht auf die Unterschiede des Filmverständnisses in Deutschland und in Frankreich wirft.

Der junge Kurde Azad (Erdal Celik) verlässt schweren Herzens seine ärmliche Heimat, um in Deutschland Asyl zu beantragen und sein Glück zu machen. Sein Bruder Semo (Nurettin Celik) ist bereits in Berlin und schlägt sich als Lude auf dem Straßenstrich mühsam durch. Doch solche schmutzigen Geschäfte kommen für den anständigen Azad nicht in Frage. Stattdessen verdingt er sich auf dem Klo türkischer Imbissbuden als Barbier und stutzt seinen Landsleuten den Bart und die Nasenhaare. Dabei wird er unterstützt von dem kleinen Ibo (Xewat Gectan), mit dem sich Azad ein Zimmer in der Asylbewerberunterkunft teilt. Als die beiden eines Tages in der U-Bahn auf die jungen Türken Achmet (Oral Uyan) und Zeki (Bülent Büyükasik), geraten die Parteien in Streit und beleidigen sich aufs Übelste, was nicht ohne Folgen bleibt. Das archaische und verhängnisvolle Räderwerk von Ehrverletzung und Rache, Gewalt und Gegengewalt setzt sich in Gang, so dass auch Azad gezwungen ist, seine defensive Haltung aufzugeben.

Migration und Integration sind seit jeher die Themen des in Mannheim lebenden kurdischen Filmemachers Yilmaz Arslan. Oberflächlich mag man sich von der Thematik zwar an Gegen die Wand erinnert fühlen, doch Fratricide / Brudermord geht viel mehr ans Eingemachte und verweist auf die Rituale und Mechanismen einer Jahrhunderte alten Feindschaft zwischen Kurden und Türken. So tauchen denn auch konsequenterweise Deutsche in diesem Film, der in Deutschland spielt kaum auf. Und wenn, dann stehen sie im Abseits und müssen hilflos zuschauen, wie beide Parteien mit rabiatesten Mitteln versuchen, ihre befleckte Ehre wiederherzustellen. Das Projekt Integration, so scheint es, ist gescheitert, ein pessimistischer Einblick in die Parallelgesellschaft der Migranten und ein hartes, schroffes, düsteres, mitunter auch sehr gewalttätiges Drama mit ausgezeichneten Laiendarstellern. Die Verlierer in diesem Kampf, der unter der Oberfläche brodelt, sind die Kinder, und das macht den Film so bewegend. Definitiv nichts für zartbesaitete Zuschauer.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/fratricide