Tsotsi

Johannesburg, knallhart

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Gerade jetzt, da alle über die raue Realität in Berlins prominentesten Problembezirk Neukölln reden, kommt der südafrikanische Ghetto-Film Tsotsi in die deutschen Kinos. An Detlev Bucks schonungslosem Großstadtfilm Knallhart entfachte sich eine heiße Debatte darüber, wie authentisch die in seinem Film dargestellte Gewalt denn wirklich ist. Während die einen Neukölln zum sozialen Brennpunkt Nummer Eins deklarieren und sich durch den Film bestätigt fühlen, halten die anderen den Film für vollkommen unrealistisch und gewaltverherrlichend. Die brutale Gewalt auf den Straßen ist auch das Thema von Tsotsi, der in einem wirklichen Elendsviertel am Rande von Johannesburg spielt. Brutalität ist hier genauso Alltag. Ob das diesmal alles realistisch ist, wird wohl kaum jemand anzweifeln. Glaubwürdig und ergreifend dargestellt ist es allemal.
Der Film erzählt die Geschichte des titelgebenden 19jährigen Tsotsi (Presley Chweneyagae), der eines Tages mit den bitteren Folgen seiner gewalttätigen Überfälle konfrontiert wird. Tsotsi und seine Gang – ein recht kurioses Ensemble sozialer Außenseiter, zu dem der gescheiterte Lehrer Boston (Mothusi Magano), der brutale Mörder Butcher (Zenzo Ngqobe) und der schwerfällige Aap (Kenneth Nkosi) gehören - begeben sich regelmäßig auf kaltblütige Gewalttouren. Ganz unauffällig und scheinbar routiniert ermorden sie mitten in einer überfüllten U-Bahn einen alten, hilflosen Mann. Tsotsi, dessen Name im Straßenslang soviel wie farbiger Gangster bedeutet, schreckt auch wenn er allein unterwegs ist, vor nichts zurück: In einem schicken Vorort stiehlt er das Auto einer Frau, schießt auf sie und flüchtet mit Höchstgeschwindigkeit durch die einsamen, nächtlichen Straßen Suburbias. Da hört Tsotsi plötzlich ein Baby auf dem Rücksitz schreien und nichts bleibt wie es war.

Tsotsi ist eine märchenhaft erzählte Coming-of-Age-Geschichte, für die Regisseur Gavin Hood den Oscar für den besten ausländischen Film 2006 erhalten hat. Die dritte Regiearbeit Hoods, der auch das Drehbuch verfasst hat, ist eine Adaption des gleichnamigen Romans des südafrikanischen Schriftstellers und Dramatikers Athol Fugard. Der 1980 erschiene Roman spielt in den südafrikanischen Townships der 50er Jahre. Gavin Hood entschloss sich jedoch nicht zuletzt aus ökonomischer Abwägung für die Übertragung der Geschichte in ein modernes Szenario. Die Figuren besetzte er bewusst mit einheimischen Darstellern, um die Geschichte so glaubwürdig wie möglich zu erzählen. Besonders schwierig sei es gewesen, die Figur des Tsotsi zu besetzen, eine sowohl aggressive als auch verletzliche Rolle. Mit Presley Chweneyagae wurde ein junger Theater- und Fernsehschauspieler entdeckt, der nicht nur Tsotsi-Tsaal, die Sprache der Straßen Sowetos, beherrscht, sondern auch aus ähnlich ärmlichen Verhältnissen stammt.

Tsotsi zeigt eine Welt krasser sozialer Gegensätze: Elend und Wohlstand liegen gefährlich nah beieinander. Die Klassenunterschiede ergeben sich nicht einmal mehr durch die Farbe der Haut: Arme Schwarze überfallen reiche Schwarze. Gavin Hood kennzeichnet die verschiedenen Umfelder durch Ausstattung und Farbgebung. Tsotsis Umgebung ist trostlos: Grau sind die Slums und Wellblechbaracken, Dunkel die Kleidung des Jungen. Die Umgebung der Reichen hingegen leuchtet in schillernder, bunter, lebendiger Farbe. Lance Gewers ruhige Kamera fängt das Geschehen mit vielen Nahaufnahmen auf ganz intime Weise ein und erzeugt damit, eine starke Verbundenheit zwischen dem Zuschauer und den Figuren.

Alles in allem erinnern die Straßenkinder in Tsotsi weit weniger an Neuköllner Schulkinder als an die Latino-Ghetto-Kids in Filmen wie City of God von Fernando Meirelles oder Amores Perros von Alejandro Gonzales Inárritu, in denen sie ihre Geschäfte und Kämpfe in den Armutsbezirken Lateinamerikas führen. Wer diese Filme mochte, der wird sich auch für Tsotsi begeistern.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/tsotsi