Urban Guerillas

Ein Heimatfilm der anderen Art

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Heimatfilme sind so eine Sache: In den Fünfzigern noch als Ausdruck kleinbürgerlichen Heile-Welt-Denkens verschrien, hat sich die Bedeutung des Begriffs Heimat im Film in den letzten Jahren eminent gewandelt. Und das nicht nicht nur dank Edgar Reitz bewegender Fernsehserie. Spätestens seit Mitte der Neunziger ist Heimat für Filmemacher ein Begriff, über den neu nachgedacht wird, abseits der Schönfärberei der harmoniesüchtigen Adenauer- und Wirtschaftswunderzeit.

Auch der Berliner Regisseur Neko Celik nennt seinen Film Urban Guerillas einen Heimatfilm, und schon bei dem ersten Einstellungen wird klar, dass sein Werk, das bereits im Jahr 2003 entstanden ist, mit dem Heimatfilmen der Fünfziger so viel zu tun hat, wie ein Schuhplattler mit HipHop. Denn die Heimat der Protagonisten in diesem Film ist keine national begründete, sondern eine „multikulturelle“ und multiethnische, die sich wenig darum schert, woher du kommst, sondern die allein darauf schaut, ob man/frau zur Szene der Graffiti-Sprayer, der Rapper und Breakdancer dazugehört oder nicht.

Die beiden Sprayer, das Mädchen Danger (Ilke Üner) und der Junge Kaspar (Felix Kaspar Kalypso) haben beide das gleiche Problem: Sie hatten Stress mit ihren Crews und sind rausgeflogen. Als sie sich begegnen, beschließen sie, zu Ehren eines verstorbenen Sprayers ein eigenes Graffiti-Projekt anzugehen. Doch als sich Danger in Kaspar verliebt, schiebt sie ihre Gefühle erstmal auf die Seite, um die neue Partnerschaft nicht zu gefährden. Doch das ist nur eine von verschiedenen Geschichten, die Neco Celik schließlich alle in einem Grande Finale in einer riesigen Party aufeinander treffen lässt. Allen Storys ist gemeinsam, dass es immer wieder um eine Entscheidung geht, die darauf hinausläuft, sich für oder gegen den Mikrokosmos der HipHop-Szene zu entscheiden. Steht man dazu, was man tut, oder nötigt die „Welt da draußen“ die jungen Akteure dazu, ihren Lebensstil aufzugeben und sich anzupassen?

Die deutsche HipHop-Szene, vor allem jene in der Hauptstadt, lebt und wendet sich mehr und mehr dem Film zu, so hat man den Eindruck. Nach Status Yo! und Knallhart, der ebenfalls zu Teilen im Berliner subkulturellen Milieu urbaner Streetgangs spielt, bringt 36 Pictures nun Neco Celiks Urban Guerillas in die Kinos, der bereits 2003 fertig gestellt worden war und der auf einigen Festivals gezeigt wurde. Bislang fand sich aber kein Verleiher bereit, den Film in die Kinos zu bringen, obwohl sich die HipHop-Szene sicherlich leicht zum Kinobesuch animieren ließe. Vermutlich aber schätzte man bislang die Zielgruppe als zu gering ein, was den Verleih freilich wenig schreckt. Dass Neco Celik die Szene, die er beschreibt, genau kennt, spürt man in jeder Minute des Films: Celik war früher selbst Gangmitglied bei der berüchtigten Kreuzberger Gang „36er“ (benannt nach dem ehemaligen Postleitzahlen-Bezirk Berlin 36, also Kreuzberg), bevor es ihn zum Film verschlug und er seitdem diese Vergangenheit filmisch aufarbeitet, wovon auch der Name seiner gemeinsam mit Kompagnon Erhan Emre gegründeten Produktionsfirma 36pictures zeugt.

Vorerst ist der Film lediglich in einigen Berliner Kinos (im Eiszeit Kino und im CinemaxX am Potsdamer Platz) zu sehen, doch vielleicht schwappt die Welle ja über auf andere Kinos in Deutschland. Die B-Boys dürfte das auf jeden Fall freuen. Und die deutsche Kinolandschaft wäre um ein authentisches Stück Kino von der Straße reicher. Elaboriertes Bedeutungs-und Erbauungs-Kino gibt es nämlich schon genug.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/urban-guerillas