Wahrheit oder Pflicht (2005)

Ausgerechnet Mathe

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Einmal ist die kesse 18-jährige Annika (Katharina Schüttler) in der 12. Klasse bereits sitzen geblieben, und nun ist es beim zweiten Anlauf wieder mal ausgerechnet eine Mathe-Klausur, die ihr alle Hoffnung auf das Erreichen der Hochschulreife verwehrt. Wie aber soll sie es ihren hoffnungsfrohen Eltern beibringen, dass aus deren Träumen nun doch nichts werden wird? Am besten gar nicht, beschließt Annika und geht fortan jeden Tag mit gepackter Schultasche aus dem Haus, so, als sei sie nicht soeben von der Schule geflogen. Doch je länger sie mit dieser Lüge lebt, umso schwieriger wird es, das Lügengebäude aufrecht zu erhalten. Um die Zeit totzuschlagen, die sie nun im Überfluss hat, gammelt Annika schon bald in einem abgestellten Wohnmobil herum, wo sie Kai (Thomas Feist) aus der benachbarten Siedlung kennen lernt. Anfangs schöpfen ihre Eltern (Jochen Nickel und Therese Hamer) keinen Verdacht, doch als ihr Vater plötzlich und unerwartet sein Job verliert, findet der seine Berufung ausgerechnet darin, seinem Töchterchen beim Mathe-Pauken zu helfen, was der natürlich gar nicht passt.

Aus der Not heraus wächst sich das Lügengebäude immer mehr zu einem gigantischen und fragilen Gebilde aus, so dass Annika all ihre Cleverness aufbieten muss, um in gefährlichen Situationen den Überblick zu behalten und ihre kleine große Lebenslüge aufrecht zu erhalten. Irgendwann hat sie den Ausstieg aus dem Teufelskreis der Lügen verpasst, wartet sehenden Auges auf den Tag, an dem der ganze Schwindel auffliegt und versucht in der Zwischenzeit, das Beste aus ihrem Leben zu machen.

Was auf den ersten Blick wie eine beliebige Fernseh-Teenie-Komödie wirkt, erweist sich beim näheren Hinschauen als äußerst pfiffige, mit überraschenden Wendungen versehene und bravourös gespielte Komödie, in der Lebensträume genussvoll analysiert und in ihre Einzelbestandteile zerlegt werden, bis von den gepriesenen bürgerlichen Werten wie Sicherheit, Leistungsdenken und Harmoniesucht kaum mehr etwas übrig ist. Arne Noltings und Jan Martin Scharfs beschwingte Komödie Wahrheit oder Pflicht erhielt beim letztjährigen Max-Ophüls-Festival den Preis der Schülerjury, was zumindest zeigt, wie nah der Film bei aller Lust an der Überzeichnung an der Realität dran ist. Doch die Qualität des Films besteht darin, dass er nicht allein Jugendliche anspricht, sondern auch erwachsenen Kinogehern so manches Aha-Erlebnis und schmunzeln bis Lachen entlocken kann. Der einzige Wermutstropfen des Films ist seine Fernsehoptik, doch daran kranken mittlerweile viele deutsche Debütfilme, die Fernsehanstalten als Koproduzenten fordern ihren Tribut. Trotzdem ist Wahrheit oder Pflicht eine sehenswerte deutsche Komödie, bei der man ständig das Gefühl hat, genau zu wissen, was sich als nächstes ereignen wird, und fast immer liegt man schief. Doch Hand aufs Herz: Das ist eine Enttäuschung, die man im Kino sehr gut verkraften kann.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/wahrheit-oder-pflicht