Kids

Schonungslos

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der in New York lebende 17-jährige Telly (Leo Fitzpatrick) hat ein perverses Hobby - er ist „Jungfrauenknacker“. Sein ganzes Bestreben ist darauf ausgerichtet, Mädchen anzumachen, zu entjungfern und anschließend wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen. Ansonsten interessiert ihn nicht viel, vielleicht noch Kiffen, Rumhängen mit seinem besten Kumpel Caspar und kleinere Diebstähle. Doch der Casanova ist eine lebende Zeitbombe, denn er hat sich mit dem HIV-Virus angesteckt und verbreitet das Virus ungehemmt. Unter den Leidtragenden befindet sich auch Jenny (Chloë Sevigny), die nach einem zufällig durchgeführten AIDS-Test sofort weiß, wer sie da angesteckt hat. In der folgenden Nacht macht sie sich auf die Suche nach Telly, doch als sie ihn endlich findet, verführt der gerade eine 13-jährige. Als sie schließlich erschöpft einschläft, macht sich Caspar an sie heran: Der Kreislauf von ungeschütztem Sex und Ansteckung mit AIDS geht weiter und scheint sich unaufhaltbar fortzusetzen…

Larry Clark arbeitete zunächst als Fotograf und sorgte mit einigen Bildbänden über die Jugendszene und Sexualität bereits für Aufsehen, bevor er sich dem Film zuwandte. Kids, sein schonungsloses Porträt einer verlorenen Jugend in den USA; die nicht aus ärmlichen Verhältnissen, sondern aus der scheinbar gefestigten Mittelschicht kommt, sorgte in den USA für reichlich Aufsehen und brachte dem Regisseur den Vorwurf der Nähe zur Pornographie mit Minderjährigen ein – obwohl die Laiendarsteller zum damaligen Zeitpunkt bereits volljährig waren. Die meisten der Darsteller stammten aus der Clique rund um den damals 18-jährigen Harmony Korine, der das Drehbuch geschrieben hatte und der später selbst als Filmregisseur (Gummo) und Autor (so schrieb Korine auch das Drehbuch für Larry Clarks Film Ken Park) in Erscheinung treten sollte. Für Harmony Korines damalige Freundin Chloë Sevigny bedeutete Kids ein Glücksgriff: Der Film markierte den Beginn einer Karriere als Filmschauspielerin, andere Darsteller hatten weniger Glück: Justin Pierce, der die Rolle des Caspar spielte, beging im Jahr 2000 Selbstmord, Harold Hunter, der es zu einer Berühmtheit in der Skater-Szene brachte, starb im Februar 2006 an einer Überdosis Koks. So schließt sich der Kreis zwischen Film und Leben: Hier wie dort beklagt eine Generation ihre Opfer, die dem alltäglichen Hedonismus, den Drogen und dem ungeschützten Sex zum Opfer fallen.

Auch wenn Kids an den Kinokassen weitgehend durchfiel, ist er für die Filmgeschichtsschreibung der Neunziger Jahre eines der wichtigsten Generationsporträts – hart, schonungslos und vibrierend vor Energie.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/kids