Science of Sleep – Anleitung zum Träumen

Die Reise ins Land der Träume

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Michel Gondry ist – und das ist durchaus positiv gemeint – einer der großen Phantasten und „Spinner“ unter den Filmregisseuren. Seine filmischen Arbeiten, seien es nun Musikvideos oder die beiden bisherigen Spielfilme Vergiss mein nicht! / Eternal Sunshine of the Spotless Mind oder Die Krone der Schöpfung / Human Nature, strotzen nur so vor bizarren Einfällen, virtuosen Tricks und einer kindlich-verspielten narrativen Phantasie, die ihresgleichen sucht. Einzig Gondrys jüngste Arbeit Dave Chapelle’s Block Party zeigt eine andere, stillere und weniger exzentrische Herangehensweise. Allerdings scheint es so, als sei dies nur ein kurzer Ausflug gewesen, denn mit The Science of Sleep – Anleitung zum Träumen macht Gondry da weiter, wo er zuletzt aufgehört hat – im Reich der absurden Komödie.
Die Hauptperson ist der aus Mexiko stammende, überaus schüchterne Zeichner Stéphane (Gael García Bernal), der sich nach Paris verirrt hat, um dort einen Job in einer Agentur anzutreten, der ihm von seiner Mutter (Miou Miou) vermittelt wurde. Schade, dass die so genannte Agentur nichts weiter als ein schnöder Copy-Shop ist, in dem der begnadete Träumer Stéphane absolut fehl am Platz ist. Je grauer und trister die reale Welt des Zeichners wird, umso mehr flüchtet sich Stéphane in wilde, ausufernde Pappmache-Träumereien und Phantasien, in denen all jenes, was in Wirklichkeit schief läuft, wieder zurechtgerückt wird.

Doch auf Dauer lässt sich die Wirklichkeit nicht aussperren. Oder ist es vielmehr das wahre Leben, das sich beginnt, in Stéphanes Welt einzuschmuggeln? Als der Zeichner schließlich seiner neuen Nachbarin Stéphanie (Charlotte Gainsbourg) begegnet, beginnen sich die beiden voneinander getrennten Welten der Phantasie und der Realität mehr und mehr zu überlagern und miteinander zu verschmelzen, bis sich der sichtlich verwirrte Held selbst kaum mehr auskennt. Was ist Traum, was Wirklichkeit, was geschieht tatsächlich in der Außenwelt und welche Bestandteile seines Denkens, Fühlens und Handelns sind real und welche ein Produkt seiner überreizten Phantasie? Schließlich erscheint ihm die Liebe als einziger Ausweg aus dem selbst veranstalteten Dilemma…

Dieses Mal ist Gondrys Lieblingsdrehbuchautor Charlie Kaufman nicht mit von der Partie, was allerdings trotz Kaufmans beinahe schon legendärem Ruf dem Film kaum schadet. Dazu ist die Freude viel zu groß an den knallbunten Spielereien und vertrackten Einfällen, durch die Gondry und sein Film bisweilen mäandern und immer wieder Déja-Vus aus seligen Kindertagen aufblitzen lassen. Und ganz nebenbei ist Science of Sleep / Anleitung zum Träumen Michel Gondrys mit Abstand persönlichster Film, denn in der Figur Stéphanes kommt immer wieder der Regisseur selbst zum Vorschein, der wie sein filmisches Alter Ego eine nahezu kindliche Freude daran empfindet, seine eigene kleine abstruse Welt zu bauen, die einzig und allein seinem Willen unterworfen ist. Ein Film, der an jene Tage erinnert, als das Glück noch aus Basteleien mit Schere, Klebstoff und buntem Papier bestand und wir die Herren dieser Welt waren.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/science-of-sleep-anleitung-zum-traeumen