John & Jane

Bombay liegt in Amerika

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In den Vororten der indischen Metropole Mumbai – früher bekannt als Bombay – stehen die Vorposten der amerikanischen Zivilisation. Hier sind etliche Call Centers angesiedelt, in denen junge, gut ausgebildete Inder Anrufe von amerikanischen 1-800-Nummern entgegennehmen. Die Büros der Call Center Agents sind nur nachts besetzt, wenn Mumbai schläft und es auf der anderen Seite der Erde, in den USA, Tag ist. Wenn die Anrufe bei den Servicenummern eingehen, ahnt kaum jemand der Hilfesuchenden, dass er gerade mit einem fernen Ort am anderen Ende der Welt verbunden ist – kompetent und bestens geschult erteilen die Agents Auskunft, nehmen Homeshopping-Bestellungen und Reklamationen entgegen und beantworten geduldig die Fragen amerikanischer Konsumenten.

Der junge indische Regisseur Ashim Ahluwalia hat in seinem Film John & Jane die Arbeit und das Leben von sechs jungen Indern begleitet, die Nacht für Nacht in einer fingierten Welt zwischen der Realität von Mumbai und dem Phantasma eines fernen Amerika leben. Dieses Leben in einer Zwischenwelt hat Auswirkungen auf das Denken und Empfinden der Johns & Janes: Bestens geschult und mittels Seminaren, die vom Individualismus und die Konsumkultur über Sprachunterricht bis hin zum Besuch typisch amerikanischer Gottesdienste mit den scheinbaren Feinheiten des amerikanischen „Way of Life“ vertraut, entstehen hier transnationale Identitäten, die Kulturen, Gewohnheiten und Erfahrungen durchmischen, was zum Teil fatale Folgen für das Denken der Beschäftigten hat: Die eigene, indische Kultur ist für viele von ihnen kaum mehr als ein verächtliches Lächeln wert.

Vieles an John & Jane wirkt auf den ersten Blick unwirklich, inszeniert und wie der kruden Phantasie eines SciFi-begeisterten Regisseurs entsprungen, doch Ashim Ahluwalia bietet mit seinem Film neue Einsichten in den Prozess der Globalisierung, die manche Entwicklung, vor allem auf die Seelen der Betroffenen in einem neuen Licht erscheinen lassen. Er zeigt, dass wir vieles von dem, was im Zusammenhang mit der Globalisierung und der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland geschieht, noch gar nicht bedacht haben. Ohne erhobenen Zeigefinger ist der Film eine tiefschürfende und nachdenklich machende Reflektion über die rasanten Veränderungen der Globalisierung, die nicht nur unsere unmittelbare Lebensumwelt betreffen, sondern auch das ausmachen, was wir sind – unsere Identität.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/john-jane