Als das Meer verschwand

Eine Art Heimkehr

Eine Filmkritik von Jean Lüdeke

Der renommierte, aber ausgebrannte Kriegsfotograf Paul (Matthew MacFadyen) kehrt nach 17-jähriger Flucht vor der Vergangenheit zur Beerdigung seines Vaters in die neuseeländische Heimat zurück, ein kleines Nest am Ende der Welt, wo die Zeit stehen geblieben scheint. Der Empfang seines Bruders Andrew (Colin Moy) und seiner Familie ist betont kühl, ganz zu schweigen von Jugendliebe Jackies (Jodie Rimmer) feindseliger Reaktion. Während er die abgeschiedene Hütte seines Vaters ausräumt und einen Job als Aushilfslehrer annimmt, freundet er sich mit der 16-jährigen Celia (Emily Barclay) an, Jackies Tochter - und eventuell auch seine eigene. Als das literarisch ambitionierte Mädchen eines Tages spurlos verschwindet, fällt der Verdacht des Kindesmißbrauches auf ihn, was Anfeindungen und gar tätliche Übergriffe der Anwohner auslöst. Doch Paul schweigt zu den Vorwürfen.
Die Panoramen-Einstellungen sorgen in ihrer Kargheit für eine bedrückende Stimmung, die Weite der Umgebung unterstreicht nur umso deutlicher die Eingeschränktheit des kleinen Dorfes, der Paul entfloh. Das Refugium des Vaters, gefüllt mit Literatur und Musik aus einer verheißungsvollen anderen Welt, sowie der Obstgarten, in dem Paul und Celia sich begegnen, wird zu einer unwirklichen und desaströsen Schneekugel zwischen den Untiefen aus Lügen und Dramen der Vergangenheit..

Regisseur und Drehbuchautor Brad McGann kombiniert bei der komplexen und bis zum letzten Moment spannenden Geschichte gekonnt die Elemente des Thriller mit jeneen des klassischen Familiendramas. Nach Stolz und Vorurteil präsentiert Matthew MacFadyen in der Rolle des leidlichen Paul die gesamte Bandbreite seines schauspielerischen Könnens in überzeugender und kraftvoller Präsenz. In weiteren Rollen mimen ebenso ausdrucksvoll die Newcomerin Emily Barclay und Miranda Otto (Herr der Ringe - Die zwei Türme).

McGann lässt sich viel Zeit, um seine komplexe Geschichte zu entfalten, und dann die Beziehung der Charaktere zueinander häppchenweise bloßzulegen. Gegenwart und Vergangenheit werden in geschickten Rückblenden miteinander verquickt, um den Betrachter so Stück für Stück das geschickt gestanzte Puzzle zusammen zu fügen. Der poetische Filmtitel Als das Meer verschwand entspricht dem eigenartigen, dichterischen Grundton, der sich durch den ganzen Film zieht. Dabei bezieht er sich auf eine Shortstory, die Celia für einen Schreib-Contest verfasste und somit zur Allegorie des gesamten Dramas wird.

Still, beklemmend: Ein Drama und Mystery-Thriller, der seine Spannung und Dramaturgie bedächtig konstruiert und mit beachtlichen Leistungen weniger bekannte Schauspieler überrascht: Ein kathartischer Streifen, der viel größere Beachtung verdient hätte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/als-das-meer-verschwand