Eden

Liebe geht durch den Magen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

\"Mit der Entdeckung des Kochens begann die Entwicklung des Steinzeitmenschen zum Homo Sapiens. Kochen ist die Mutter der Philosophie, der Chemie und der Physik. Kochen ist Dichtung, Transformation, Schöpfung. Kochen ist die älteste Kunstgattung, älter als die Höhlenmalerei.\" Mit diesen ebenso eindringlichen wie wahren Worten beginnt Eden, ein Film über die Magie der Küche und die Verwicklungen, die daraus entstehen können.
Und Kochen ist noch mehr als Kunst und Zivilisation – Kochen ist Liebe, Zärtlichkeit, Berühren und Schmecken, Schauen und Verschlingen. Nicht umsonst ist die liebevolle Zubereitung eines Mahls oder eines Menüs und dessen anschließende Einverleibung ein ständig wiederkehrendes Thema im Film, ob in Bella Martha, Das große Fressen, Babettes Fest, Chocolat oder in Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber. Kein Wunder, denn was liegt näher, als die Liebesgeschichten des Kinos mit jenen der Küche zu verbinden. In Eden beschreitet Michael Hofmann, dessen Erstlingsfilm Der Strand von Trouville sich bereits mit dicken Köchen und der Vorliebe für Schokocrêpes auseinandersetzte, den Weg hin zu einer weiteren Verfeinerung seiner cinematographischen Küche und bereitet ein äußert schmackhaftes Mahl, dass dem geneigten Restaurantbesucher – Verzeihung, Filmzuschauer – an manchen Stellen das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.

In einem kleinen Schwarzwaldstädtchen mit Kurbetrieb, an dem die Zeit anscheinend spurlos vorübergegangen ist (Kenner Badens werden wohl wissen, welches Städtchen gemeint ist), betreibt der schüchterne und wenig ansehnliche Koch Gregor (Josef Ostendorf) einen kleinen, aber feinen Gourmettempel, in der er seiner Leidenschaft, der „cucina erotica“ frönt. Privat scheinen die aphrodisierenden Rezepte aber nur wenig zu nutzen, denn Gregor ist ein Einzelgänger, der seine spärliche Freizeit in verstaubten Cafés verbringt – möglicherweise um seiner Einsamkeit zu entfliehen. Dort lernt er die Kellnerin Eden (die MTV-Moderatorin Charlotte Roche in ihrer ersten Filmrolle) kennen, die den schüchternen Riesen zunächst einmal abblitzen lässt – immerhin ist sie verheiratet und hat eine kleine Tochter namens Leonie (Leonie Stepp). Die sanfte Annäherung gelingt erst, als Gregor anlässlich des fünften Geburtstags Leonie einen Kuchen zukommen lässt, der mit selbst gemachten Pralinen verziert ist. Als Eden eine dieser Pralinen probiert, ist es um sie geschehen – sie wähnt sich (Nomen est omen) im Paradies in einem Schlaraffenland, das den denkbar größte Kontrast zu ihrem eigenen, höchst trivialen Leben darstellt. Fortan sucht sie Gregors Nähe, um immer wieder einen Happen jenes Paradieses zu erhaschen; wie eine heimliche Geliebte besucht sie den Koch jede Nacht, um sich an seinen Köstlichkeiten zu laben. Dann aber kommt ihr Mann Xaver hinter das pikante kleine Geheimnis. Und auch Gregor wird klar, dass ihm die rein platonische Form der Liebe zu Eden auf Dauer nicht genügen kann…

Vielleicht liegt es ja an der Nähe der Drehortes zu Frankreich oder an Charlotte Roche, die ebenso gut die Protagonistin in einer französischen Produktion sein könnte: Michael Hofmanns Eden erinnert in seiner Versponnenheit und dezenten Künstlichkeit entfernt an Filme wie Die fabelhafte Welt der Amélie, ohne allerdings an Jean-Pierre Jeunets Mut zum Experiment und seinen fröhlichen Sarkasmus heranzureichen. Seine stärksten Szenen hat der Film zweifellos, wenn Gregor bei der Zubereitung seiner Köstlichkeiten und Eden beim Verzehr sowie den daraus folgenden Reaktionen beobachtet werden. Dann ist der Film ganz bei sich und bei dem, um was es - so ist zu vermuten – dem Regisseur wirklich geht. Etwas fad und nüchtern hingegen bleiben die familiären Hintergründe Edens, die sich an manchen Stellen nicht so recht mit den schwelgerischen Kochszenen zusammenfügen wollen; etwas mehr Mut zu Schärfe wäre hier mit Sicherheit angebracht gewesen. Trotz dieses kleinen Beigeschmacks ist Eden ein über weite Strecken sinnliches Kinovergnügen und deshalb nicht nur Hobbyköche und Freunde kulinarischer Genüsse zu empfehlen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/eden