Pans Labyrinth

Prädikat märchenhaft

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Spanien im Jahr 1944: Der Bürgerkrieg ist bereits fünf Jahre vorbei, doch immer noch kämpfen Partisanen gegen das faschistische Regime General Francos. In einer entlegenen Provinz des Landes lebt der ehrgeizige und brutale Capitan Vidal (Sergi López) und macht mit seinen Soldaten Jagd auf die Widerständler in dem bewaldeten und gebirgigen Gebiet. Als Vidals hochschwangere Frau Carmen (Ariadna Gil) gemeinsam mit ihrer elfjährigen Tochter Ofélia (Ivana Baquero) aus erster Ehe vor Ort eintrifft, beginnt für das Mädchen eine seltsame Zeit, in der sich die Haushälterin Mercedes (Maribel Verdú) als einzige Stütze erweist. Doch die paktiert ausgerechnet mit den Rebellen, auf die Capitan Vidal unbarmherzig Jagd macht. Ofélia entflieht ihrer düsteren und von Gewalt geprägten Umgebung, indem sie sich in ein Reich voller Fabelwesen zurückzieht, das die allgegenwärtigen Grausamkeiten und die Lieblosigkeit ablöst und durch eine Welt voller Abenteuer ersetzt. Geführt von einem Insekt, das sich als Elfe und Sendbotin eines Reiches jenseits der physischen Realität offenbart, begegnet Ofélia Pan (Doug Jones) in dessen geheimnisvollem Labyrinth. Der Faun offenbart ihr, dass sie keine gewöhnliche Sterbliche sei, sondern die seit langem vermisste Prinzessin einer unterirdischen Welt voller Elfen und bizarrer Geschöpfe. Doch um ganz sicher zu sein, dass sie die Richtige sei, müsse sie drei Aufgaben bewältigen, die er ihr stelle. Ebenso verängstigt wie fasziniert nimmt das Mädchen die Aufgaben an und ist fortan eine Wandlerin zwischen den Welten.
Zauberwelt und Realität, Imagination und die Brutalität des Alltags beginnen sich mehr und mehr zu überlagern und in eine komplizierte wechselseitige Beziehung miteinander zu treten. Die Situation spitzt sich dramatisch zu, als Ofélias Mutter bei der Geburt des sehnsüchtig erwarteten Sohnes stirbt und Pan von ihr verlangt, den Neugeborenen in das Labyrinth zu bringen…

Basierend auf einer spanischen Legende, die von einer Prinzessin erzählt, welche aus ihrem märchenhaften unterirdischen Reich entfloh, durch die Sonne ihr Gedächtnis verlor und die fortan als gewöhnliche Sterbliche lebte, bis sie in ihr Reich zurückkehren kann, erzählt Guillermo del Toro seine Geschichte in ebenso betörend schönen wie bizarren und grausamen Bildern, die bisweilen an die phantastischen Wesen eines Matthew Barney erinnern. Neben Babel gehört Pans Labyrinth / El Laberinto del Fauno zu den bisherigen absoluten Highlights des noch jungen Kinojahres, und es ist schon ein merkwürdiger Zufall, dass beide Filmemacher aus Mexiko stammen, ein Land, das bislang im internationalen Arthouse-Kino keine allzu wichtige Rolle spielte. Interessant ist vor allem die Beleuchtung des historischen Backgrounds, der sich einer weitgehend unbekannten Facette des Filmes widmet. Denn der Spanische Bürgerkrieg endete zwar offiziell am 1. April 1939, doch der organisierte Kampf oppositioneller Kräfte gegen das faschistische Regime von General Franco dauerte noch lange an, mindestens bis in die fünfziger Jahre hinein. Das Jahr hat für Guillermo del Toro vor allem deshalb eine enorme Bedeutung, weil der Zweite Weltkrieg zur selben Zeit durch die Invasion der Alliierten in der Normandie eine endgültige Wendung bekam. Doch während der Rest Europas dadurch vom Faschismus befreit wurde, konnte sich in dieser Zeit das Regime des Generalísimo festigen und sollte noch bis ins Jahr 1975 Bestand haben.

Pans Labyrinth / El Laberinto del Fauno ist mit Sicherheit einer der ungewöhnlichsten Filme des Jahres, ein Fantasy-Abenteuer, das in der Verknüpfung von Zeitgeschichte und Märchenwelt vollkommen neue Wege beschreitet. Wer es versteht, sich auf die drastischen Darstellungen des spanischen Faschismus und den magischen Realismus eines Guillermo del Toro einzulassen, der wird mit einem Meisterwerk belohnt, das in vielfacher Hinsicht unvergleichlich ist.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/pans-labyrinth