Der Gute Hirte

Paranoia rules!

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Edward Wilson (Matt Damon) ist ein amerikanischer Patriot, wie er im Buche steht: Fleißig, strebsam, aufrichtig und mit jenem unerschütterlichen Glauben an die amerikanischen Werte gesegnet, auf denen der Erfolg der Vereinigten Staaten fußt. Bereits während des Studiums an der Elite-Universität Yale tritt er 1939 dem Geheimbund Skull & Bones ein, aus dem sich die spätere Elite des Landes rekrutiert. Zu jener Zeit beginnt die Geheimdienst-Karriere des jungen Mannes, zunächst im Office of Strategic Services (OSS), für den er seine Dozenten an der Uni ausspioniert, dann später in der Nachfolgeorganisation, dem Central Intelligence Service (CIA), der 1947 gegründet wird. Dank seines tadellosen Lebenswandels steigt Wilson innerhalb der Organisation schnell auf und wird zu einem der wichtigsten Männer des CIA.
Doch der unaufhaltsame Aufstieg hat einen hohen Preis: Von seiner Familie, seiner Ehefrau Margaret (Angelina Jolie) und seinem geliebten Sohn (Eddie Redmayne) bekommt der Karrierist kaum mehr etwas mit. Zudem belastet die grassierende Paranoia in den anbrechenden Zeiten des Kalten Krieges jede Form der zwischenmenschlichen Beziehung schwer. In einer Zeit, in der das Böse in Gestalt des Kommunismus scheinbar an jeder Straßenecke lauert und in der Täuschung und Verstellung so alltäglich ist wie das morgendliche Zähneputzen, entwickelt Edward paranoide Züge, die vor nichts und niemandem Halt machen. Der einstmals brave Familienvater mutiert zu einem eiskalten, besessenen und letztlich auch zutiefst gestörten Menschen. Vor seinen Verdächtigungen und den daraus folgenden Konsequenzen ist nicht einmal mehr seine eigene Familie sicher, so dass Wilson schließlich nur noch einem einzigen Menschen vertraut, seinem Mentor General Sullivan (Robert De Niro)…

Robert De Niros zweiter Spielfilm Der Gute Hirte / The Good Shepherd nach A Bronx Tale katapultiert den Mimen nun endlich auch als Filmemacher in die erste Liga. Seine fiktive Geschichte des CIA – fiktiv deswegen, weil es diesen Edward Wilson nie gegeben hat – erzählt die Geschichte des Geheimdienstes anhand des Lebenslaufs eines der Hauptakteure und entwirft so souverän ein Sittengemälde, das die Zeitspanne von 1925 bis 1961 umfasst. Ein spannendes, zutiefst menschliches, reichlich komplexes und exzellent inszeniertes Stück US-amerikanischer Zeitgeschichte und ein faszinierender Einblick in die Welt der Geheimdienste. Nicht unanstrengend, aber lohnenswert!

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-gute-hirte