The Cemetery Club

Vom langsamen Tod der Überlebenden

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Mount Herzl Academy ist keine Bildungseinrichtung, in der sich junge Menschen Wissen aneignen, im Gegenteil: Es ist ein Seniorenclub in Jerusalem, der sich einmal wöchentlich an jedem Samstagmorgen auf dem Nationalfriedhof Mount Herzl versammelt. Eben ein Cemetery Club. In einer Art Prozession sehen wir die mehr oder weniger rüstigen alten Leute an den Gräbern vorbeiwandeln – unter ihnen befindet sich auch die letzte Ruhestätte von Theodor Herzl, des Begründers des Zionismus: Und nicht selten haben sie Klappstühle und Proviant bei sich. Doch immer häufiger wird der wöchentliche Rhythmus der Begegnung durchbrochen und ein weiteres Zusammentreffen unter der Woche nötig, weil wieder mal eines der Mitglieder der Mount Herzl Academy das Zeitliche gesegnet hat.
Die Academy wurde mit dem Ziel gegründet, die Einsamkeit des Alters gemeinsam zu überwinden, darüber hinaus kümmert sich der Cemetery Club auch um kulturelle Belange, ist eine Art Debattierzirkel, in dem Philosophisches ebenso besprochen wird wie persönliche Erlebnisse, die sich bei den Vertretern der Holocaust-Generation immer wieder auch um die Shoah drehen, um die persönlichen Erlebnisse, die Erinnerungen, den Verlust von Familie, Freunden und Bekannten. Und so ist dieser rührige Seniorenkreis auch eine Einrichtung gegen das Vergessen und Vergessenwerden. Doch es sind nicht allein Trauer und Schmerz, die die Gespräche bestimmen, mitunter werden die Streitgespräche so heftig geführt, dass der schrille Pfiff einer Trillerpfeife für Ruhe und Mäßigung sorgen muss.

Die Regisseurin Tali Shemesh, geboren 1969, fand über ihre Großmutter Minya und über deren Schwägerin Lena Zugang zu diesem Kreis und hat die Mount Herzl Academy annährend fünf Jahre begleitet. Dabei entstand ein einfühlsames und manchmal – vor allem bei den Streitereien Lenas und Minyas – sogar komisches Bild der Generation, die den Holocaust durchleiden musste und die selbst heute, mehr als sechzig Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Nazi-Diktatur, an den Erinnerungen und Erlebnissen schwer zu tragen hat.

The Cemetery Club / Moadon beit hakvarot ist ein überraschend unterhaltsamer Dokumentarfilm über ein ernstes Thema, der den ersten Preis beim Dokumentarfilmfestival Dok. Leipzig gewann und der für den Europäischen Filmpreis 2006 als bester Dokumentarfilm nominiert war.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-cemetery-club