Twentynine Palms

Schonungsloses Kunstkino

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Allzu viel passiert nicht in Bruno Dumonts bereits vier Jahre altem Film Twentynine Palms. Ein junges Paar, der Fotograf David (David Wissak) und seine Geliebte, die Russin Katia (Katia Golubeva) durchqueren gemeinsam die südkalifornische Wüste, eine grandiose Landschaft voller Einsamkeit und bizarrer Schönheit. Kommunikation ist zwischen diesen beiden Liebenden allerdings kaum möglich, da Katia kaum Englisch spricht und David des Russischen nicht und des Französischen kaum mächtig ist. So verwundert es wenig, dass die beiden nur das Nötigste miteinander sprechen. Doch selbst bei dem Wenigen gibt es noch viele Möglichkeiten, sich gegenseitig misszuverstehen und zu verletzen. Gemeinsam suchen sie nach Bildmotiven für einen Werbefilm, streiten sich, versöhnen sich wieder leidlich, kopulieren (man kann es nicht anders und deutlicher sagen) miteinander, hängen in einsamen Motels und Einöden herum, bis das Gewaltige, das Unfassbare und Heftige geschieht, das sich dem Zuschauer unauslöschlich ins Gehirn einbrennt, eine Explosion aus Gewalt und Sexualität, die über die beiden hereinbricht…
Geisterhaft erscheint das Bild von Amerika, das Bruno Dumont (L’Humanité, Flandres, die beide in Cannes den Großen Preis der Jury erhielten, der eine im Jahr 1999, der andere 2006) in seinem radikalen Kunstfilm Twentynine Palms zeichnet, ein verlassenes Land, das kaum mehr Menschen beherbergt, Amerika ist im wahrsten Sinne eine Wüste, in der das Überangebot an Waren in einem menschenleeren Supermarkt in dem Wüstenkaff Twentynine Palms wie ein Schrei wirkt. Wie Chiffren der Einsamkeit und existenziellen Leere wirken die beiden Umhertreibenden, die immer wieder den anderen benutzen, um sich für einen kurzen Moment ihrer Selbst und ihrer brüchigen Existenz zu versichern, um anschließend wieder in Schweigen zu versinken – ein beklemmendes Kammerspiel unter freiem Himmel, dessen rüdes Ende zwar schockiert, das aber anderseits beinahe als Erlösung erscheint, befreit es doch von einem Leben, das sinnentleert und auf die Befriedigung geschlechtlicher Triebe reduziert zu sein scheint. Und möglicherweise liegt in dieser schonungslosen Analyse des Lebens und nicht in der orgiastischen Befreiung daraus die wahre Härte dieses Films. Ein Film, wie man ihn kaum ertragen kann und wie man ihn vielleicht gerade deswegen nicht verpassen sollte – voller rauer Energie und weit entfernt von beinahe allem, was man sonst auf den Leinwänden zu sehen bekommt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/twentynine-palms