Snow White

Abstieg eines Partygirls

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Filmtitel erschließt sich bereits dann, wenn man Nico (Julie Fournier) zum ersten Mal sieht: Mit ihren schwarzen Haaren, den knallroten Lippen und der blassen Haut hat sie tatsächlich etwas von Schneewittchen an sich. Doch man kann den Namen auch durchaus anders verstehen als nur in seinem märchenhaften Kontext: Nico zieht sich nämlich auf der Dauerparty, die ihr Leben darstellt, eine Linie Koks nach der anderen rein, streift mit ihrer Freundin Wanda (Zoé Miku) durch die angesagten Clubs der Stadt, ergeht sich in ausgedehnten Shopping-Touren und haut sich die Nächte um die Ohren – willkommen in der Spaßgesellschaft. Doch wo so viel Lebensfreude herrscht, sind die Abgründe nicht weit. Und im Falle Nicos lauern diese in der eigenen Familie, wo denn auch sonst? Nicos Vater (Benedict Freitag), ein erfolgreicher Bankier ist kaum zuhause, ihre Mutter (Sunnyi Melles) hingegen ist derart neben der Spur, dass sie schon mal ihre eigene Tochter nicht erkennt. Kein Wunder also, dass die junge Frau, die gerade ihren Schulabschluss gemacht hat, keinerlei Gedanken an die Zukunft verschwendet, sondern nach allen Kräften und mit allen (Rausch)Mitteln zu vergessen versucht.
Doch als Nico den aus einfachen Verhältnissen stammenden Paco (Carlos Leal) kennen und lieben lernt, ändert sich ihr Leben schlagartig. Der Sänger der Genfer HipHop-Formation „Menace Evasion“ (im wahren Leben ist Leal Frontmann der HipHopper von Sens Unik) ist komplett anders als sie, ein aufrichtiger Rebell, der gegen die Willfährigkeiten des Lebens revoltiert und nicht klein beigibt, wie dies Nico tut. Ermutigt, mit ihrem Leben etwas anzufangen, beginnt die junge Frau ihr Leben zu verändern: Sie verlässt den Clubbesitzer Boris (Stefan Gubser), widmet sich ernsthaft ihren Ambitionen als Schauspielerin und lässt die Finger von Drogen. Doch die Vergangenheit – zumal eine so bewegte wie die von Nico – lässt sich nicht so einfach abschütteln, und bald schon nimmt das Unglück seinen Lauf.

Formal brillant mit schnellen Schnitten und einigen Kameraspielereien und Experimenten, die an die goldenen, weil kreativen Zeiten der Videoclips erinnern, verliert sich der aus dem Irak stammende und in der Schweiz lebende Regisseur Samir in den Fallstricken seiner Geschichte und präsentiert seine moderne Romeo-und-Julia-Geschichte als eine Mischung aus Märchen, hippem Werbefilmchen und Telenovela. Die kathartische Wirkung von Nicos Abstieg mag sich auf diese Weise nicht so recht einstellen, abschreckend wirken höchstens die Klischee beladenen Figuren, die reichlich platt geraten sind. Aber vielleicht will diese Geschichte ja wirklich nur ein Märchen sein und hat deshalb mit dem wahren Leben wenig bis nichts zu tun? Angesichts der dargestellten Problematik wäre das eine fatale Haltung und mit Sicherheit für junge Zuschauer das falsche Signal. Die Bilder allerdings machen streckenweise einen Höllenspaß.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/snow-white