Der große Ausverkauf

Im Privatisierungssumpf

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Vier Tragödien auf vier Kontinenten: Was dunkle Häuser im südafrikanischen Soweto, tragische Zugunglücke in Großbritannien, schlechte Krankenversorgung in Manila und ein Wasserkrieg im bolivianischen Cochabamba miteinander zu tun haben. Florian Opitz’ Dokumentarfilm Der große Ausverkauf handelt von den negativen Folgen der Privatisierung öffentlicher Dienste und gibt Augen öffnende Einblicke in das Leben der betroffenen Menschen.
Vier Jahre lang hat sich der 1973 in Saarbrücken geborene Regisseur mit der Thematik beschäftigt. Als im Jahr 2003 die WTO das GATS-Abkommen auf den Weg brachte, was allen Ländern vorschreibt, die öffentlichen Dienste für die Privatisierung freizumachen, war die Diskussion darüber sehr einseitig und positiv gestimmt. Unisono verkündeten Politiker, Entscheider und Medien: Privatisierung mache die öffentlichen Dienste effizienter, die faulen Beamten kundenorientierter, die Produkte billiger und innovativer. Doch dass es damals schon Beispiele gab, bei denen die Privatisierung das Leben der Bürger verschlechterte - und zwar dann wenn es sich um lebensnotwendige Dinge wie Wasser, Bildung und Gesundheit handelt – war nirgendwo zu hören. Auslöser für Florian Opitz, sich etwas intensiver mit dem Thema zu befassen, um den Menschen bewusst zu machen, wie die andere Seite der Medaille Privatisierung aussieht.

Lange gesucht hat er seine „Helden“; wollte er doch Protagonisten zeigen, die nicht passive Opfer der Privatisierung sind, sondern ihr Schicksal in die Hand nehmen und aktiv bekämpfen. Und er wurde fündig – auf vier unterschiedlichen Kontinenten:

Da gibt es den 32-jährigen Bogani unterwegs auf den staubigen Straßen des südafrikanischen Townships Soweto. Unter der Operation „Licht an!“ schließt er die Häuser wieder ans Stromnetz, deren Bewohner die horrenden Stromrechnungen des privaten Anbierters ESKOM nicht mehr bezahlen konnten. Illegal natürlich.

Dann gibt es die Geschichte der im Slum von Manila lebenden 53-jährigen Minda Lorando, deren Sohn an einem Nierenleiden erkrankt ist und zweimal wöchentlich eine Dialyse benötigt. Seit das philippinische Gesundheitssystem privatisiert wurde, und folglich mittellosen Menschen keine medizinische Versorgung gewährt wird, ist es längst zu Mirandas Hauptbeschäftigung geworden, fortwährend neue Geldgeber für die Behandlung ihres Sohnes aufzutreiben. Spenden sind unter Florian Opitz’ Filmwebsite www.dergrosseausverkauf.de herzlich willkommen.

Die dritte Geschichte porträtiert den britischen Lokführer Simon Weller, der Einblicke in den desaströsen Zustand des Britischen Bahnsystems nach der Privatisierung der British Rail in Großbritannien gibt. Reisen per Zug ist auf der Insel tatsächlich kein Vergnügen: Verspätungen, schmutzige, vollgestopfte Züge, teure Preise sind die eine unangenehme Seite. Ein marodes Schienennetz, ausbleibende Investitionen und unabgeglichene Fahrpläne die andere, dunklere, zu tödlichen Unfällen führende Seite.

Und dann sind da die Bürger Cochabambas, der drittgrößten Stadt Boliviens, die gegen einen US-Konzern kämpfen, der die Wasserversorgung der Stadt unter seine Kontrolle gebracht und die Trinkwasserpreise bis zur Unbezahlbarkeit hochgetrieben hat.

Vier Geschichten, die nicht nacheinander, sondern geschickt ineinander verwoben erzählt werden, decken die fatalen Folgen der Privatisierung auf. Zu Recht fragt man sich jedoch, warum Opitz so polarisiert und hauptsächlich nur die eine Seite, die der Betroffenen, in seinem Film zeigt. Nur in einem Interview kommt ein Mitarbeiter der Weltbank zu Wort. Wer und wo sind die Entscheider solch verheerender Maßnahmen? Was sind die Gründe dafür? Wo ist der Kontrast im Film? Ja, aber genau diesen wollte Opitz ursprünglich zeigen. Doch Fehlanzeige. Es ist ihm verwehrt worden: Es sei bei allen Institutionen, sei es IWF, WTO oder Weltbank, unmöglich gewesen, Leute zu finden, die sich vor der Kamera für die Privatisierung aussprechen. Ungleichgewicht also nicht, weil der Filmemacher das wollte, sondern weil es ihm schier unmöglich gemacht wurde.

Ein Film, der nachdenklich ist und dazu anregt, die wirtschaftlich-politische Entwicklung hierzulande etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Was den Menschen in Südafrika, Bolivien, Philippinen und Großbritannien passiert, könnte irgendwann auch uns betreffen. Florian Opitz wünscht sich schlechtes Wetter, wenn der Film am 17. Mai bei uns in den Kinos anläuft. Doch die 90 Minuten eines lauen, vorsommerlichen Abends sollten wir uns nehmen, um die gelungene Arbeit des Regisseurs zu würdigen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-grosse-ausverkauf