Der Traum (2005)

Über ein fast abgerissenes Ohr

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

"I Have a Dream…" – wer kennt sie nicht, die berühmte Rede von Martin Luther King, mit der er auf einer Protestkundgebung am 28. August 1963 vor mehr als 250.000 Menschen auf die Missstände der schwarzen Bevölkerung aufmerksam machte. Wie ein Motto begleitet Luthers Rede Niels Arden Oplevs neuen Film Der Traum / Drømmen, in dem der dänische Regisseur in seine eigene Kindheit zurückkehrt und die Geschichte eines aufmüpfigen Schuljungen erzählt.

Die Sommerferien 1969 hat der 13-jährige Fritz (Janus Dissing Rathke) vor dem neuen Fernseher verbracht. Die Familie lebt auf dem Land, der Vater ist Bauer, die Mutter Krankenschwester. Außer Fahrradtouren zum bettlägerigen Großvater bietet das Leben für den schüchternen Jungen nicht viel Abwechslung. Als die Ferien vorbei sind und er eine neue Schule besucht, wird Frits mit dem autoritären, gewalttätigen Schuldirektor konfrontiert. Sein Klassenkameraden spielen dem wehrlosen Frits einen Streich, für den er bitter büßen muss. Frits wird solange von Schulleiter Lindum Svendsen „gezüchtigt“ bis er fast sein Ohr verliert. Motiviert von Martin Luther Kings Vorstellungen von einem besseren Leben und größerer Gerechtigkeit beginnt sich in Frits der Widerstand gegen den autoriätren Direktor zu regen. Zur Seite steht ihm sein neuer, rebellischer Musiklehrer Freddie Svale (Anders W. Berthelsen). Als dieser Frits Eltern überzeugt, gegen den Schulleiter vorzugehen, setzt ein bitterer Kampf um Gerechtigkeit ein.

Der 46-jährige Regisseur Niels Arden Oplev hat mit Der Traum / Drømmen einen sehr persönlichen Film realisiert. Über sein Familiendrama sagt er, dass es ganz stark von seinen eigenen Erinnerungen geprägt ist. Viele Figuren und der Hauptteil der Geschichte hätten ihren Ursprung in realen Begebenheiten und Menschen aus seiner Schulzeit. Sein Spielfilmdebüt Portland (1996) handelt von der gewalttätigen Untergrundszene im ländlichen Norden Dänemarks. Vor und nach seinem zweiten Spielfilm Chop Chop (2001) drehte er mehrere Filme und Serienepisoden für das dänische Fernsehen. Bewusst hat er sich mit Der Traum / Drømmen für einen ruhigeren, gesetzteren Film entschieden.

Vergleicht man Der Traum / Drømmen mit Oplevs früheren Filmen, so wirkt er sehr artig und gefügig. Obwohl er sich das Rebellische zum Thema macht, sind es eher seine ersten Filme die wild und provokativ daher kommen. Der Traum / Drømmen ist klassisches Erzählkino, dem Zuschauer wird so ziemlich alles vorgekaut. Man muss sich nicht viele Gedanken um den Plot machen, der so gradlinig auf der Leinwand abgespult wird. Die Berlinale 2006 hat ihn mit dem Gläsernen Bär des Kinderfilmfestes geehrt und genau da ist er richtig. Ein eindringlicher Familienfilm, der den Kids vor Augen hält, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss. Aber guckt man sich in den Schulen von heute um oder sieht Filme wie Detlef Bucks Knallhart (2006), dann fällt auf, dass der Kampf heutzutage ja nicht mehr gegen die Lehrer, sondern eher gegen die rivalisierenden Schulkameraden oder feindlichen Gangs ausgetragen wird.

Mit unermüdlicher Kraft und großem Mut seinen Willen durchsetzen – diesen Traum erfüllt sich der kleine Frits. Und ein bisschen davon mit nach Hause zu nehmen, kann keinem schaden. Nur nicht die Taschentücher vergessen!
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-traum-2005