Import

Von Ost nach West, von West nach Ost

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Zwei Menschen reisen in Import / Export von West nach Ost, von Ost nach West - eine doppelte Fluchtbewegung in entgegengesetzter Richtung. Da ist zum einen die ukrainische Krankenschwester Olga (Ekateryna Rak), eine junge Mutter, die beschließt, ihr Kind zurückzulassen und nach Österreich zu gehen, um dort ihr Glück zu finden. Der Weg führt über schmuddelige Webcam-Shows windiger Internet-Anbieter bis in die geriatrische Abteilung eines Wiener Krankenhauses. Putzstellen im Krankenhaus, eine wahre Vorhölle, die an Absurdität kaum zu überbieten ist. Olga – das wird schnell klar – ist der "Import" des Films von Ulrich Seidl.
Der glatzköpfige und bis über beide Ohren verschuldete Paul (Paul Hofmann) hingegen ist der "Export" – er tritt gemeinsam mit seinem versoffenen Stiefvater (Michael Thomas) den Weg gen Osten an und landet schließlich nach Umwegen, kleinen Gaunereien und großen Missgeschicken just in jenem Land, aus dem Olga aufbrach. Eine bittere Wendung der Globalisierung, in der die Reichen auf der Flucht vor der Steuerfahndung den Weg ins Ausland suchen und die Armen sich auf die Reise machen, um festzustellen, dass Elend sich überall gleich anfühlt.

Nahezu euphorisch äußert sich Andreas Borcholte bei Spiegel Online über den Film: "Vielleicht versteht es ausgerechnet der Österreicher Ulrich Seidl derzeit von allen Filmemachern am besten, mit einer Präzision, Lässigkeit und Bosheit das Innerste von leidenden Menschen in grandiose Kinobilder zu übersetzen.“ Und weiter heißt es dort: „Seidl erzählt von sexueller Erniedrigung und brutaler Gewalt, kleinen menschlichen Annäherungen und banaler Gehässigkeit in langen, stets auf neue überraschenden Einstellungen und beweist dabei soviel grelle Poesie und Zärtlichkeit, dass man dem Zauber seiner Horrorwelt fast ohne Gegenwehr verfällt.“ Für den Spiegel jedenfalls zählt Import / Export bislang zu den Favoriten des Wettbewerbs.

Auch für Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung zählt Seidls Film zu den Topfavoriten des diesjährigen Wettbewerbs: "Geradezu atemberaubend aber ist der Humor, der nun auch in diesen Bildern steckt, und die Menschlichkeit, die sich in unerwartetsten Momenten plötzlich Bahn bricht – so als müsse dieser Filmemacher, der nunmehr in die Riege der großen Meister aufgerückt ist, nur lange genug dorthin schauen, wo sonst niemand mehr hinblickt, um eine gänzlich eigenwillige Form von Schönheit und Wahrheit zu finden."

Naturgemäß zurückhaltender äußerten sich die amerikanischen Filmkritiker, denen so viel Realismus und Boshaftigkeit dann doch entschieden gegen den Strich geht. So befindet Ray Bennet im Hollywoodreporter: "With an aimless script inadequately filmed, the picture is unlikely to make it much farther than its inexplicable inclusion In Competition here at Cannes." Und weiter heißt es dort: "If the picture had any shock value perhaps a case could be made for it but it doesn't; it's just vile and tedious."

Differenzierter sieht Peter Burnette von Screen International den Film, obgleich er ihm kaum Chancen auf eine erfolgreiche Kinoauswertung einräumt: "Seidl has been described as a sadist, but underneath all the gloom and doom and constant cruelty is obviously a disappointed idealist crying out for people to care for one another."

Ein Film also, der durchaus zu polarisieren weiß und auf den man sehr gespannt sein darf – zumal dann, wenn man den grimmigen Humor und drastischen, von Realismus durchtränkten Sarkasmus von Hundstage und die zärtliche Ironie von Jesus, du weißt schätzt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/import