Als der Wind den Sand berührte

Auf der Suche nach Wasser

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Wasser ist der Ursprung allen Lebens. Wasser erhält uns am Leben. Der Mensch kann wochenlang ohne Nahrung auskommen, aber nur wenige Tage ohne Wasser. Auf unserer Erde gibt es Millionen von Menschen, die nur wenig oder gar keinen Zugang zu Wasser haben und deshalb sterben müssen. Nach dem Roman Chamelle von Marc Durin-Valois hat die Regisseurin Marion Hänsel ein bewegendes Drama über eine afrikanische Familie auf der Suche nach Wasser inszeniert, einen Film über das Überleben und die Hoffnungslosigkeit eines verlorenen Kontinents.
Der Film erzählt die Geschichte von Dorflehrer Rahne (Issaka Sawadogo) und seiner Familie. In ihrem Dorf gibt es immer weniger Wasser, die Brunnen sind ausgetrocknet und die Dorfbewohner wollen gen Süden auf der Suche nach neuem Wasser ziehen. Doch Rahne hält das für keine gute Idee. Er sieht größere Chancen im Osten, obwohl dort Krieg und Chaos herrschen. Zusammen mit seiner Frau Mouna (Carole Karemera), seinen drei Kindern, einer befreundeten Familie und einer Herde Schafe, Ziegen und einem Dromedar macht er sich mutig auf den Weg durchs Feindesland, um auf der anderen Seite der Grenze zu Gewässern zu gelangen, an denen sie sich niederlassen können.

Der Weg durch die feindliche Wüste wird zum Alptraum: So ist die immer kleiner werdende Auswanderertruppe ständig Gefahren ausgesetzt: Hinterhältigen Soldaten, kaltblütigen Rebellen, der Dürre der Wüste, Hitze, Krankheit, Durst, Hunger. Doch sie geben nicht auf uns ziehen immer weiter. Einmal werden sie von einer feindlichen Rebellengruppe überrascht, die von ihnen wissen will, wo die Minen liegen. Rahnes Tochter Shasha (Asma Nouman Aden) muss in ein vermeintlich vermintes Feld laufen, über das die Männer fahren wollen. Es geht gut, es gibt keine Minen, sie fahren los, dann schießen sie – auf Rahnes jüngsten Sohn. So Kaltblütig und hinterhältig, dass man einige Minuten braucht, um den Schock und dieses unendliche Leid zu verdauen.

Das Schicksal der jungen Familie steht für das Leid von Millionen von Menschen in Afrika. Es wird niemals ein bestimmtes Land im Film genannt. Gedreht hat Marion Hänsel in dem kleinen ostafrikanischen Wüstenstaat Djibuti, der zwischen Eritrea und Somalia liegt. Dort fand sie genau das, was sie für ihren Film brauchte: Eine raue Landschaft, Sand, Salz und Dornen. Allerdings hatte Djibuti den Nachteil, dass es dort keine professionellen Schauspieler gibt. Ihre Hauptdarsteller musste sie daher in anderen Ländern suchen. Für die Rolle der Mouna, die Rahnes Ehefrau spielt, castete sie die aus Ruanda stammende und in Belgien lebende Schauspielerin Carole Karemera. In einem belgischen Kurzfilm entdeckte sie den aus Burkina Faso stammenden Schauspieler Issaka Sawadogo, den sie schließlich für ihre Hauptfigur Rahne besetzte.

Marion Hänsel beweist ein bemerkenswertes Gespür für ihre Figuren und das Leid, was sie auf ihrer gefährlichen Reise auf der Suche nach Wasser ertragen müssen. Walther van den Endes Kamera taucht ein in die herrlich idyllischen Landschaften Afrikas, rüttelt im nächsten Moment erschrocken wieder auf, wenn Rebellen aus dem Hinterhalt auftauchen. Aber immer diskret, mit Abstand und Respekt.

Die 1949 in Marseille geborene Marion Hänsel wuchs in Antwerpen auf. Nach einer Schauspielausbildung bei Lee Strasberg in New York gründete sie 1977 mit "Man’s Films" eine Filmproduktionsfirma. Da sie für ihren ersten Spielfilm Le Lit 1982 keinen Produzenten fand, produzierte sie ihn selbst und tut das heute immer noch. Außerdem produziert sie auch die Filme anderer, meist jüngerer, Regisseure. Selbst gedreht hat sie in den letzten Jahren unter anderen Verschwörung der Kinder (1992) mit Carmen Maura und Jean-Pierre Cassel, Der Teufel und die tiefe blaue See (1995) mit Stephen Rea und das Drama La Faille (2000).

Als der Wind den Sand berührte / Si le Vent soulève les Sables ist ein aufrüttelnder Film, der das Abstrakte am Beispiel eines Familienschicksals anschaulich macht. Das was wir täglich in den Zeitungen über Hungersnot, Dürre und Krieg in Afrika lesen, sehen wir in gerade mal 90 Minuten verdichtet auf der Leinwand. Die aufwühlenden Bilder lassen jedoch mehr in uns zurück als die täglich sich wiederholenden Nachrichten.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/als-der-wind-den-sand-beruehrte