Die Liebe in mir

Mr. Melancholy

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wenn man sich diesen Film anschaut, dann wähnt man sich des Öfteren in einer Zeitmaschine, und das liegt vor allem an einem der Hauptdarsteller: Wie kommt es, so fragt man sich, dass Bob Dylan es schafft, so jung auszusehen? Die Antwort ist ganz einfach: Es ist nicht Bob Dylan, sondern Adam Sandler, der hier mit Dylaneskem Wuschelkopf und ebensolchem Bart eine ganz andere Seite seines erstaunlichen Talents gibt, das ihm vor Jahren – seien wir ehrlich – noch niemand zugetraut hätte. Abonniert auf das mehr oder minder anspruchsvolle Komödienfach lief Sandler mehr und mehr Gefahr, zum Kasper Hollywoods zu werden – mit einer Ausnahme: In Paul Thomas Andersons leider untergegangenem Film Punch Drunk Love bekam das staunende Publikum zumindest eine Ahnung davon, dass der Mann mit dem Dauergrinsen auch für ganz andere Großtaten bereit steht, sofern ihm nur die entsprechenden Rollen angeboten würden.
In Die Liebe in mir / Reign Over Me spielt Sandler den vom Leben schwer gezeichneten ehemaligen Zahnarzt Charlie Fineman, der seit dem Verlust seiner Familie bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nicht mehr ins Leben zurückgefunden hat. Das Trauma hat aus dem einstmals erfolgreichen und zufriedenen Mann ein psychisches Wrack gemacht, das es niemals geschafft hat, wieder Anschluss an ein einigermaßen normales Leben zu finden. Loszulassen und zu schweben gelingt ihm nur, wenn er sich auf seinen motorisierten Tretroller schwingt und durch die nächtlichen Straßen Manhattans braust, die Ohren mit einem riesigen Kopfhörer bewehrt, der ihn gegen ein Zuviel an Außenwelt schützen soll – denn Charlie lebt längst in seiner eigenen Welt. Als er seinen ehemaligen Studienkollegen und Zimmergenossen am College Alan Johnson (Don Cheadle) per Zufall auf der Straße trifft, ist dies für Letzteren ein Schock, zumal ihn Charlie kaum wieder erkennt. Und trotzdem entwickelt sich zwischen den beiden Männern eine Freundschaft, eine Verbundenheit, die weit über eine oberflächliche Auffrischung der guten alten Zeit hinausgeht. Denn obwohl Alan ein scheinbar erfolgreiches Leben führt, liegt auch bei ihm einiges im Argen. Es beginnt ein zäher Kampf um das Seelenheil Charlies, dem sogar die Einweisung in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie droht, sollte sich sein Zustand, der von Zornesausbrüchen und unbändiger Wut begleitet wird, nicht bessern. Eine Herausforderung, unter der auch Alans Ehe zunehmend zu leiden beginnt…

Auch wenn die Terroranschläge des 11. Septembers den Hintergrund für Mike Binders Film bilden, in Wirklichkeit ist Die Liebe in mir / Reign Over Me eine Geschichte über alle Formen des Verlustes, der Trauer und der Aufarbeitung eines Traumas, und genau das macht die Stärke des Filmes aus, ebenso wie die gekonnte Balance zwischen Melancholie, Albernheiten und Entsetzen angesichts des Unaussprechlichen, das Charlie widerfahren ist. Gedreht wurde der Film zum größten Teil an Originalschauplätzen in New York, so dass Die Liebe in mir / Reign Over Me zugleich eine Ode ist an die Stadt am Hudson River, die ähnlich wie die Helden dieses Filmes oft genug am Rande des Wahnsinns balanciert und die es doch immer wieder schafft, das eigene Gleichgewicht wieder zu finden – gerade nach dem Trauma von 9/11.

Ein zutiefst bewegender Film, in dem Adam Sandler und Don Cheadle auf allerhöchstem Niveau agieren, sie geben diesem wunderbaren Film über Trauer und Freundschaft eine tiefe Wärme und Menschlichkeit, die man nicht so schnell vergessen kann.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-liebe-in-mir