Projekt Gold - Eine deutsche Handball-WM

Deutschland - Ein Wintermärchen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Nach der Hysterie des letzten Sommers, die ganz im Zeichen der Fußball-WM stand, ließ sich ein wenig ahnen, dass die darauf folgende Handball-WM – ebenfalls im eigenen Land – vom sportlichen Boom würde profitieren können. Allerdings – und das war allen Beteiligten klar – stand Handball immer ein wenig im Schatten des Fußballs. Doch das sollte sich nun ändern – zumindest für die Zeit der WM. Ähnlich wie Klinsmanns Kicker hatten sich auch die Spieler um Nationaltrainer Heiner Brand einiges vorgenommen – der Titelgewinn sollte es sein. Einen Unterschied hatte das "Projekt Gold" aber: Im Gegensatz zu den kickenden Kollegen galten die deutschen Handballer nicht als Mitfavorit, sondern als Außenseiter bei der WM im eigenen Land – zu stark war in den letzten Jahren die Übermacht der Schweden, Spanier und Franzosen gewesen. Und die Experten schienen anfangs Recht zu behalten, denn nach anfänglichen Erfolgen gegen Brasilien und Argentinien setzte es im dritten Spiel mit 25:27 eine knappe Niederlage gegen den Angstgegner Polen. Doch im weiteren Verlauf des Turniers steigerte sich die deutsche Mannschaft immer mehr und erreichte schließlich sogar das Finale, in dem sie just wieder auf die polnische Mannschaft trafen – eine Chance zur Revanche für die Vorrundenniederlage, die die Mannen von Heiner Brand nutzten, getragen von der Euphorie des Publikums, die längst das ganze Land erfasst hatte. Nach dem Sommermärchen folgte das Wintermärchen – mit dem Unterschied, dass Letzteres mit dem Weltmeistertitel belohnt wurde.
Am Anfang war die filmische Begleitung der Handball-WM, ebenso wie der Titelgewinn, lediglich ein Traum des Filmproduzenten und ehemaligen Kreisläufers Stephan Limbach. Nach der Fußball-WM und der Dokumentation des Mega-Events durch Sönke Wortmann dachte kaum jemand an die Handball-Weltmeisterschaft, reihenweise winkten die Filmförderer und Fernsehanstalten ab, so dass das ehrgeizige Projekt schließlich frei finanziert werden musste. Immerhin aber genoss das Team um Limbach und den Regisseur Winfried Oelsner die Unterstützung von Bundestrainer Brand, der Mannschaft und dem Deutschen Handball-Bund DHB, was sich im Laufe des Drehs als Glücksfall erwies, denn wie in Deutschland. Ein Sommermärchen gelangen auch hier intime Einblicke in das Funktionieren einer Mannschaft, die im Laufe eines Turniers über sich hinauswuchs. Doch trotz aller Ähnlichkeiten sind die beiden Filme über zwei große Sportereignisse durchaus unterschiedlich geraten: Während Sönke Wortmann bei aller Liebe zum Detail immer an der Oberfläche verharrte, gelingen Oelsner tiefere Einblicke in die Seele der Mannschaft und der Einzelspieler, was durchaus daran liegen mag, dass viele der Handballer in sich gekehrter und nachdenklicher erscheinen als ihre kickenden Kollegen. Auch Heiner Brand wirkt mit seinem gewaltigen Nietzsche-Schnäuzer gegen den agilen und smarten Jürgen Klinsmann weniger versiert im Umgang mit den Medien, aber nicht minder charismatisch. Was einen weiteren Reiz des Films ausmacht, ist auch die Grundkonstellation, dass ein Kollektiv im Verlauf einer Herausforderung über sich hinauswächst und das Unmögliche wahr machen kann: Es ist die klassische Geschichte von David, der gegen Goliath obsiegt, die jeder Drehbuchautor nicht besser hätte schreiben können – nur in diesem Fall ist sie wahr und nicht erfunden. Ob der Film allerdings in den Kinos ähnlich erfolgreich sein wird wie Sönke Wortmanns Rekapitulation der Fußball-WM, darf bezweifelt werden. Auch wenn Oelsner ein ganz anderer Film gelungen ist – er hat wahrscheinlich einfach das Pech, mit seinem Film der Zweite zu sein. Und wie im Sport, so zählt im Kino leider oft nur der erste Rang etwas – auch wenn es in der zweiten und dritten Reihe immer wieder Perlen zu entdecken gibt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/projekt-gold-eine-deutsche-handball-wm