Into the Wild (2007)

Rousseau, Thoreau, Penn

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein junger Mann auf der Suche nach sich selbst: Christopher McCandless (Emile Hirsch) ist gerade mal Anfang Zwanzig, ein intelligenter Typ aus bestem Elternhaus, der gerade seinen College-Abschluss mit Auszeichnung gemacht hat und dem nun die Welt offen steht. Seine Eltern (William Hurt, Marica Gay Harden) und seine jüngere Schwester Carine (Jena Malone) sind überglücklich. Doch statt nun weiter auf dem scheinbar vorgezeichneten Karrierepfad voranzuschreiten und in Harvard Jura zu studieren, bricht Christopher unvermittelt aus, verschenkt seine gesamten Ersparnisse, vernichtet seine Kreditkarten und seinen Sozialversicherungsausweis und macht sich auf eine Reise, ohne irgendjemandem über sein Vorhaben Bescheid zu sagen. Er verliert seinen Wagen, ändert seinen Namen in Alexander Supertramp und zieht fortan per Autostopp durch die Vereinigten Staaten.

Scheinbar ziellos streift Alexander nun umher, trifft Menschen –zumeist Aussteiger wie er selbst – doch lange bleiben mag er an keinem Ort mehr. Der Ruf der Wildnis und des Abenteuers treiben ihn immer weiter. Bis der Aussteiger schließlich seine letzte Nachricht an seinen neu gewonnenen Freund, den Farmer Wayne (Vince Vaughn) schreibt und anschließend in die Wildnis Alaskas eintaucht – eine Reise, von der es kein Zurück mehr gibt…

Die Referenzpunkte von Sean Penns Film nach dem Bestseller-Roman von Jon Krakauer, der wiederum auf einer wahren Geschichte basiert, sind vielfältig – sie reichen von Jean-Jacques Rousseau, Henry David Thoreau und Jack London über Jack Kerouacs Beatnik-Bibel On the Road bis hin zu Filmen wie Easy Rider, die allesamt den Mythos der Freiheit, der Wildnis und des Abenteuers feiern. Auch Jahrzehnte nach dem Ende der Hippie-Bewegung übt der Drang nach einem freien und selbstbestimmten Leben in Einklang mit der Natur und ohne die Bande der Zivilisation eine große Faszination auf Menschen aus. Sean Penn, dessen Filme sich von Beginn seiner Regiekarriere an nie um die Themen, Genres und Erzählmuster Hollywoods scherten, rekapituliert in In die Wildnis / Into the Wild einen uramerikanischen Traum und er zeigt – ähnlich wie Easy Rider – auch die Zwangsläufigkeit des Scheiterns. Wobei allerdings Alexander weniger an der Verrohung seiner Mitmenschen als vielmehr an sich selbst scheitert - das macht Penn deutlich. Vielleicht ist es aber auch die Freiheit selbst, die in unserem reglementierten Leben zwangsläufig nur in den Tod münden kann - weil der Gegensatz anders nicht auszuhalten wäre. Bemerkenswert – nein, wunderschön – ist vor allem die Art und Weise, wie Penn das zeigt – mit elegischen Landschaftsbildern von erhabener Größe, der wundervoll traurigen Musik von Eddie Vedder (Pearl Jam) und einem begleitenden Off-Kommentar, der im Zusammenspiel mit der Natur unweigerlich an Terence Malick, den Naturphilosophen unter den Regisseuren denken lässt. All dies und die phänomenale Präsenz von Emile Hirsch machen aus diesem Aussteigermärchen einen beinahe schon transzendentalen Trip, der lange haften bleibt und der mehr zum Nachdenken über das Leben anregt als mancher pädagogisch wohlmeinende, aber entsetzlich konventionelle Schinken.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/into-the-wild-2007