Interview

Ein Loft-Kammerspiel der bissigen Art

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Was für eine Demütigung: Pierre Penders (Steve Buscemi) ist eigentlich ein – wie er meint – seriöser Politik-Journalist und versierter Kriegsberichterstatter, der sich vor allem für den großen Lauf der Welt, für komplexe Zusammenhänge und gesellschaftliche Auswirkungen interessiert. Während in der Hauptstadt Washington D.C. ein handfester Polit-Skandal lodert, wird Pierre von seinem Chef dazu verdonnert, das Filmsternchen Katya (Sienna Miller) zu interviewen – eine Tätigkeit, die natürlich weit unter Pierres Würde ist. Kein Wunder also, dass das Gespräch in einem New Yorker Nobelrestaurant unter keinem guten Stern steht und recht bald in herzlicher gegenseitiger Abneigung für beendet erklärt wird. Doch man sieht sich immer – mindestens – zweimal im Leben wieder. Und an der neuerlichen Kollision ist ein Taxifahrer nicht ganz unschuldig, der durch Katyas Anblick ein wenig abgelenkt einen LKW übersieht und bei dem Crash seinen Fahrgast – wir ahnen es, es handelt sich dabei um Pierre – verletzt. Und so landet der Journalist widerwillig in Katyas schickem Loft in Tribeca, wo sich der Zweikampf fortsetzt.
Schnell stellt sich dabei heraus, dass Katya nicht die vermeintlich leichte Gegnerin ist, für die Pierre sie gehalten hat. So verlangt sie beispielsweise für ihre Selbstoffenbarung ein Stück von Pierres dunklen Geheimnissen – tit for tat. Aus der Jagd nach billigen, kleinen Sensationen, die die nach Neuigkeiten gierende Medienmaschinerie schmieren könnte, ist ein Tauschhandel geworden, und der sichtlich angeschlagene, aber von sich selbst überzeugte Journalist bewegt sich zunehmend auf dünnem Eis. Es folgen immer wieder unterbrochene Interview-Versuche, Küsse werden ausgetauscht, Heimlichkeiten aufgedeckt, Geständnisse abgelegt, von denen sich manche allenfalls als Variationen der Wahrheit herausstellen werden. Und wer letzten Endes der Interviewte ist und wer der Interviewer – wer kann das nach diesem Abend noch sagen?

Der niederländische Filmemacher Theo van Gogh, in Independent-Kreisen ein respektierter Filmemacher und ein Urgroßneffe des berühmten Malers, der tragischerweise nach seiner Ermordung durch einen islamistischen Fundamentalisten am 2. November 2004 auf offener Straße zu trauriger Berühmtheit gelangte, lieferte die Vorlage zu diesem Film unter der Regie von Steve Buscemi. Doch Interview ist weitaus mehr als „nur“ ein Remake – und das liegt vor allem an den beiden Darstellern, von denen vor allem Sienna Miller – parallel zu ihrer Rolle in Interview – zeigt, dass weitaus mehr in ihr steckt als nur eine weitere Hollywood-B-Movie-Blondine zu sein – sie ist sexy, naiv, berechnend und abgezockt, dann wieder zerbrechlich und sehr sehr „streetwise“. Buscemi, der sich in den letzten Jahren immer mehr vom gefeierten Indie-Schauspieler (Reservoir Dogs, Fargo, Living in Oblivion) zum beinahe ebenso erfolgreichen Regisseur (Trees Lounge, vier Folgen der US-Fernsehserie Die Sopranos / The Sopranos) entwickelt hat, gibt den nörglerisch-hochmütigen, abgezockten Journalisten, der sich von der vermeintlich naiven Blondine bedenkenlos vorführen lässt.

Dabei ging die Idee zu dem Remake von Theo van Gogh und seinem Produzenten Gijs van de Westelaken aus, die das niederländische Original im Jahre 2003 auf dem Filmfestival von Toronto präsentierten. Von amerikanischen Produzenten angesprochen, beschlossen sie, das Remake für den amerikanischen Markt selbst zu produzieren, und die Vorbereitungen waren bereits in vollem Gange, als der Regisseur ermordet wurde. Van de Westelaken und sein amerikanischer Co-Produzent Bruce Weiss entschlossen sich, das Projekt als Hommage an Theo van Gogh weiterzuführen und konnten Steve Buscemi als Regisseur gewinnen. Doch van de Westelaken und Weiss gingen noch weiter: Die Hommage an Theo van Gogh soll nämlich insgesamt aus drei Filmen bestehen – deshalb der Arbeitstitel „Drei mal Theo“, für die Remakes der beiden Werke 06 (1994) und Blind Date (1996) konnten mit Stanley Tucci und Bob Balaban ebenfalls zwei aus New York stammende Filmemacher verpflichtet werden.

Interview jedenfalls ist ein gelungener, intelligent-unterhaltsamer und bissiger Film im Geiste Theo van Goghs, der nebenbei bissige Seitenhiebe auf die Sensationsgeilheit der Medien und die vermeintliche Jagd nach der Wahrheit bereithält und wieder einmal zeigt, dass manche vermeintliche Wahrheit lediglich ein geschickt eingefädeltes Konstrukt ist – im Film wie im Leben.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/interview