Karger

Eine Überdosis Leben

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

In ihrem Spielfilmdebüt Karger erzählt Elke Hauck eine Geschichte über Abschiede. Es ist die Geschichte von Karger, einem arbeitslosen, geschiedenen jungen Mann, Mitte 30, der in Riesa lebt. Hauck taucht mit ihrem Film beeindruckend tief in die Realität ein, ohne jedoch das Fiktive dabei außer Kraft zu setzen. Das der Film so realitätsnah wirkt, wird vor allem dadurch erreicht, dass Hauck fast ausschließlich mit Laien gedreht hat und sie diese ihre Mundart sprechen lässt: Sächsisch.

Es beginnt in einem kleinen Club mit einem Konzert von Freygang, deren Frontmann André Greiner-Pol raubeinig "Rette mich" ins Mikrofon schreit. Überall Jeansjacken, wild geschüttelte lange Haare – mittendrin Karger (Jens Klemig), der sich in solch Umgebung wohlzufühlen scheint. Und dann Szenenwechsel: Wir sind im Gericht. Karger sitzt seiner Frau Sabine (Marion Kuhnt) oder besser gesagt ab sofort seiner Ex-Frau gegenüber, die sich von ihm scheiden lassen will. Begreifen kann und will er das alles nicht. Wie ein bockiges Kind sitzt er da. Doch Sabine meint es ernst, Karger bleibt vom einstigen Familienglück nur noch Clara, die kleine gemeinsame Tochter (Nele Boberach), mit der er etliche Nachmittage in seiner trostlosen Plattenbauwohnung verbringt. Und dann ist da noch die Kellnerin Ulrike (Anja Dietrich), die er in seiner Stammkneipe kennenlernt und mit der er sich Hals über Kopf in eine Beziehung stürzt. Glücklich macht ihn das nicht. Und als er noch seinen Job als Stahlarbeiter verliert, heißt es, Abschied zu nehmen und an einem neuen Ort gar ein neues Leben anzufangen.

Auslöser für diesen Film war ein Klassentreffen von der Schulklasse der Regisseurin. Da waren die Mitschüler, die unterschiedliche Lebensläufe eingeschlagen haben, von Scheidungen, Selbständigkeit, Arbeitslosigkeit die Rede. Das reizte Elke Hauck mehr über die Menschen ihrer Heimatstadt Riesa zu recherchieren. Aber weil sie sich scheute, ihre ehemaligen Mitschüler direkt und ganz genau über alles zu befragen, fragte sie fremde Menschen nach ihrem Leben aus. Eine Recherchemethode, die sie bereits bei ihrem Dokumentarfilm Flügge (2001) anwandte, ein Film über die Träume ostdeutscher Jugendliche. So stellte sie sich beispielsweise vor den Supermarkt, fing unzählige Menschen ab und fragte, ob sie Lust hätten über ihre Lebensumstände in einer Art Casting zu sprechen. Daraus resultierte der Stoff für Karger, schließlich die fiktive Geschichte und das Drehbuch.

Zugute kommt dem Film vor allem auch die beobachtende, eintauchende Kameraarbeit von Patrick Orth, mit dem auch der Berliner Schule-Regisseur Ulrich Köhler bei Montag kommen die Fenster (2006) und Bungalow (2002), aber auch Stefan Krohmer bei Sommer 04 (2006) bereits zusammen gearbeitet hat. Patrick Orth blickt sehr präzise auf die Menschen, fängt in dokumentarischem Stil das ein, was um sie herum passiert.

Um den Film zu mögen, muss man sich auf diese Art von Dramaturgie einlassen können. Es wird eben nicht dramatisiert, sondern eher nüchtern über die Realität und das blanke Leben erzählt. Es ist wie ein Kaleidoskop des Lebens und Karger kommt nicht gut dabei weg, was mit einer Spur Trostlosigkeit verbunden ist.

Karger ist eine gelungene Milieustudie, die ähnlich wie Valeska Grisebachs Heimatfilm Sehnsucht vom wirklichen Leben, von Abschied, Verzicht und tiefen Gefühlen erzählt. Der Einblick in den Alltag der Menschen, sei es auf dem Land bei Griesebach oder in der Kleinstadt bei Hauck ist verblüffend ähnlich – auch wenn die Herangehensweise an den Film und die Entwicklung der Geschichte jeweils eine ganz andere war.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/karger