Auf der anderen Seite

Zwischen den Kulturen

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Seit Fatih Akin 2003 den Goldenen Bären der Berlinale für sein deutsch-türkisches Liebesdrama Gegen die Wand gewonnen hat, ist er Vater geworden und hat den Dokumentarfilm Crossing the Bridge über Musik in der Türkei gedreht. Auf den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes lief sein neuer Spielfilm Auf der anderen Seite, der zweite Teil der Trilogie "Liebe, Tod und Teufel" – ein wundervoller Film, der zwischen den Kulturen spielt und sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen auseinandersetzt. Obwohl der Film sanfter daher kommt als der Berlinale-Gewinner, beweist sein Regisseur nicht nur ein bemerkenswertes Gespür für die Präsenz seiner Helden, sondern auch für die großen Themen des Kinos: Liebe, Tod und Leidenschaft.
Es beginnt in der Türkei. Ein junger Mann fährt mit dem Auto durch weite, karge Landschaften. An einer Tankstelle kauft er ein paar Snacks, plaudert mit dem Tankwart, erkundigt sich nach einem Lied, das im Radio läuft. Wir wissen noch nicht, wer er ist und wohin er will. Erst am Ende erfahren wir, dass dieser Anfang das Ende der Geschichte ist und wohin die Reise des jungen Mannes führt. Dann springt der Film in der Zeit zurück und führt uns nach Bremen, wo die ganzen Handlung ihren Anlauf nimmt. Dort trifft der pensionierte Witwer Ali (Tuncel Kurtiz) auf die Prostituierte Yeter (Nursel Köse), der er anbietet für ein reguläres Monatsgehalt zu ihm zu ziehen und mit ihm zusammenzuleben. Eher aus Verzweiflung als aus Lust stimmt sie zu und verabschiedet sich aus dem Rotlichtmilieu. Nejat (Baki Davrak), Alis belesener Sohn, der als Germanistik-Professor an der Hamburger Universität arbeitet, kann sich erst gar nicht so recht mit der neuen Situation anfreunden, empfindet aber Sympathie für Yeter, als er erfährt, dass sie das alles tut, um das Studium ihrer in der Türkei lebenden Tochter Ayten (Nurgul Yesilcay) zu finanzieren. Beide haben seit längerem keinen Kontakt mehr und weil Yeter irgendwann sterben muss, ist es Nejat, der nach Istanbul fliegt, um Ayten zu suchen.

Doch Ayten, die sich als politische Aktivistin strafbar in der Türkei gemacht hat, ist längst auf illegalem Weg nach Deutschland geflüchtet. Sie ist sogar schon in Bremen, als ihre Mutter Yeter noch lebt. Ihre Wege werden sich aber nicht kreuzen. Dafür lernt Ayten die liebenswürdige Studentin Lotte (Patrycia Ziolkowska) kennen, die Ayten im Haus ihrer stockkonservativen Mutter Susanne (Hanna Schygulla) ein Zimmer anbietet. Aber Ayten wird festgenommen und in einem Asylbewerberheim untergebracht. Als ihr Antrag auf politisches Asyl abgelehnt wird, muss sie zurück in die Türkei und wird dort inhaftiert. Da Lotte längst mehr als freundschaftliche Gefühle für Ayten hegt, fliegt die nach Istanbul, um Ayten zu helfen. Ihr Vorhaben, Ayten aus dem Gefängnis freizubekommen, scheint zunächst hoffnungslos. Bei einer tragischen Begegnung verliert Lotte ihr Leben. Ihre Mutter Susanne wird das Vorhaben ihrer Tochter vollenden und Nejat endlich wieder seinen Vater aufsuchen.

Auf der anderen Seite behandelt das Thema des Todes. Der Film verlappt zwei Teile einer Geschichte miteinander, bei denen jeweils der Tod vorweg genommen wird. Der erste in Bremen spielende Teil trägt den Titel "Yeters Tod" und der zweite, hauptsächlich in der Türkei spielende Teil heißt "Lottes Tod". Einmal stirbt eine Mutter, das andere Mal eine Tochter. Und es sind diese enge Mutter-Tochter-Beziehungen, um die der Film immer wieder kreist, die er auf die Probe stellt und untersucht. Akin zeigt, dass diese Beziehungen besonders intensiv und dramatisch sein können. Diese unendliche Tragik, einen geliebten Menschen zu verlieren, lässt uns Akin so intensiv spüren, dass man förmlich mitzittert, trauert und weint.

Aber es ist auch ein Film über das Wechselspiel und die Bewegung zwischen den Kulturen, die verschiedenen Blickwinkel – mal deutsch, mal türkisch. Von diesen Blickwinkeln profitieren Fatih Akins Filme und Geschichten, mal sieht er sich als deutschen Türken und dann wieder als türkischstämmigen Deutschen. Diese ständige Bewegung ist auch im Film zu spüren. Zeitlich miteinander verquickt, sind nicht nur die Geschichten, sondern auch die Schauplätze, die wiederum wie Figuren selbst wirken. Diese verschiedenen Blickwinkel haben auch eine politische Note, denn wenn Lottes Mutter und Ayten sich über die Europäische Union streiten, positionieren sie ganz klar ihren Standpunkt. Sie alle haben Ideale, für die sie mehr oder weniger leidenschaftlich kämpfen. Und irgendwann müssen sie etwas tun, um diese Ideale aufzugeben, um auf "die andere Seite" zu gelangen.

Auf der anderen Seite ist Fatih Akins fünfter Spielfilm. Fatih Akin wurde 1973 in Hamburg geboren. Seine Eltern stammen beide aus der Türkei. Während seines Studiums der Visuellen Kommunikation an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg schrieb und inszenierte er 1995 seinen ersten Kurzfilm: Sensin – Du bist es! Für diese Arbeit erhielt er den Publikumspreis des internationalen Hamburger Kurzfilmfestivals. Danach drehte er den Kurzfilm Getürkt (1996). Mit seinem Spielfilm-Debüt Kurz und schmerzlos gewann er 1998 den Bronzenen Leoparden beim Filmfestival von Locarno und den Bayerischen Filmpreis als Bester Nachwuchsregisseur. Es folgten die Spielfilme Im Juli (2000), Wir haben vergessen zurückzukehren (2001), Solino (2002) und Gegen die Wand (2003).

Auf der anderen Seite war auf jeden Fall eines der Highlights 2007: Sensationelles Erzählkino mit brillanten Schauspielern von einem Regisseur, der nur wie wenige andere Filmemacher den aktuellen deutschen Film so überzeugend vertritt. Wer nah am Wasser gebaut ist, sollte unbedingt eine Packung Taschentücher griffbereit halten.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/auf-der-anderen-seite