Wall-E - Der Letzte räumt die Erde auf

Eine außerirdische Liebesgeschichte

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wie sähe die Welt wohl ohne uns aus? Was wäre, wenn die Menschheit nicht mehr auf der Erde leben könnte? Diese Fragen beschäftigen die Menschheit immer wieder. Und meistens geht es dabei recht düster zu. In Pixars neuestem Leinwandabenteuer – insgesamt ist es das neunte der Animationsschmiede – finden der Regisseur Andrew Stanton und seine Crew darauf eine verblüffende Antwort: Auch wenn die Menschheit die Erde längst hinter sich gelassen hat, die Menschlichkeit ist trotzdem dort immer noch zuhause. Und zwar in Gestalt eines possierlichen kleinen Blechhaufens, der zurückgelassen wurde, um den ganzen Wohlstandsdreck wegzuräumen. Sein Name ist Wall-E. Und der entdeckt auf der verlassenen Erde etwas, das er bislang nur aus Filmen kannte: die Liebe. Und das ist – anders als die Erde – überhaupt nicht schrottig, sondern sehr gelungen, sehenswert und anrührend. Wer hätte gedacht, dass eine kleine Blechbüchse so bewegen kann?
Wall-E steht für "Waste Allocation Load Lifter - Earth-Class" (auf deutsch: "Müll-Sortierer-Lastenheber, Baureihe: Erde"), und genau darauf ist der sympathische Blechhaufen auch programmiert. Er sammelt den auf der Erde verbliebenen Müll, sortiert ihn und presst ihn zu ansehnlichen Würfeln. Das würde wohl ewig so weitergehen – immerhin wird Wall-E mit Solarstrom betrieben und die Sonne scheint selbst auch der Erde des Jahres 2800 noch -, überkäme den kleinen Kerl nicht doch die Einsamkeit. Und ausgerechnet die sowie ein kleiner Programmierfehler sorgen dafür, dass der emsige Roboter Gefühle und damit eine Persönlichkeit entwickelt, die er mit seinem Haustier, der Kakerlake namens Hal (schöne Grüße von 2001: Odyssee im Weltraum von Stanley Kubrick) nur ungenügend teilen kann. Ganz besonders hat es Wall-E ein Video von Hello Dolly angetan, das er immer wieder betrachtet und das seine Sehnsucht noch weiter verstärkt: einmal wie im Film Händchen halten mit einer Angebeteten, das wär’s. Doch woher nehmen?

Das Glück fällt buchstäblich vom Himmel, als ein von der Menschheit ausgesandtes Raumschiff auf der Erde landet und ein natürlich "weiblicher" und unglaublich schöner Forschungsroboter namens Eve (was wiederum für "Extra-terrestrial Vegetation Evaluator" steht) dem Gefährt entsteigt. Auch wenn die erste Begegnung nicht so ganz nach Wall-Es Vorstellung verläuft – Eve feuert auf ihn – ruht er nicht eher, bis er Eve erobert hat. Doch die wird alsbald wieder abberufen, da sie auf der Erde etwas Wichtiges entdeckt hat, was die Zukunft der Menschheit sichern könnte. Schweren Herzens macht sich Wall-E mit auf den Weg zurück, um bei seiner Angebeteten sein zu können. Auf seinem Weg auf den Spuren Eves erlebt er das größte Abenteuer seines bisher eher langweiligen Roboterlebens, denn es geht nicht allein um seine Liebe, sondern schließlich um die Rettung der Menschheit.

Das Wunderbare an Wall-E – Der Letzte räumt die Erde auf / Wall-E ist, dass es sich die Macher leisten können, auf Dialoge und Nebenfiguren zu verzichten, ohne dass der Zuschauer jemals das Interesse an der Geschichte verliert. Das erinnert an Meisterwerke des Stummfilmkinos wie die Filme Charlie Chaplins. Und das ist wahrlich nicht das schlechteste Vorbild, das man sich nehmen kann. Wenn man nicht wüsste, dass der Film aus den USA stammt, könnte man meinen, aufgrund der vielfältigen Beschränkungen einem Experiment aus dem Dogma95-Umfeld beizuwohnen: Ist es möglich, eine anrührende Liebesgeschichte ohne Menschen und ohne für den Zuschauer verständliche Kommunikation zu realisieren?, so könnte die Aufgabenstellung lauten. Die Aufgabe wurde nicht nur erfüllt, sondern zugleich setzt Pixar wieder einmal neue Maßstäbe für den Animationsfilm amerikanischer Prägung.

Weil die Geschichte so gelungen ist und neben einer gehörigen Portion Humor auch unterhaltsame Zivilisationskritik ohne erhobenen Zeigefinger sowie zutiefst bewegende Momente beinhaltet, ist Wall-E – Der Letzte räumt die Erde auf / Wall-E Family Entertainment, das lange nachwirkt und das eine ganze Menge Ansatzpunkte für Diskussionen im Familienkreis bietet – und was kann ein Film dieses Genres neben einer vergnüglichen Zeit im Kino eigentlich mehr leisten?

Bleibt lediglich die Frage, wie Pixars außerirdisch-überiridischer Streich noch übertroffen werden kann. Man darf gespannt sein. Dass die Macher von Toy Story, Findet Nemo und Ratatouille sich zu ihrem Jubiläum etwas ganz Besonderes werden einfallen lassen, dessen kann man sich gewiss sein.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/wall-e-der-letzte-raeumt-die-erde-auf